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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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ihn hin haben wollte.
     
    * * *
     
    Ich ging die Canebiere hinunter zum
Alten Hafen. An den Kais spazierten, neugierig von der Bevölkerung beäugt,
deutsche Soldaten auf und ab. Ich bog in die Straße ein, in der mein letztes
Treffen mit Dreifach-B stattgefunden hatte. Das Haus... Ja, was war denn aus
dem Haus geworden? Die Fenster waren nur noch Löcher, durch die man den Himmel
sehen konnte. In der ersten Etage hatten sich zwei dieser Löcher zu einer
riesigen Lücke vereint. Die Mauern waren verkohlt. Endlich wurde der
„Japanische Salon“ mal ordentlich durchgelüftet! Reste von Tapeten waren noch
übriggeblieben. Auch die Nachbarhäuser hatten was abgekriegt, sahen aber
weniger mitgenommen aus.
    Hier also hatte das Ereignis
stattgefunden, von dem in der Vielfrucht die Rede gewesen war. Für mich
und meine Nachforschungen war das ziemlich ärgerlich. Von den Nachbarn hatte
ich wohl kaum etwas zu erwarten. Die wenigen, die ich zu Gesicht bekam, sahen
nicht sehr mitteilsam aus.
    Ich ging zu Rougets Fabrik zurück,
lieh mir wieder das Gemeinschaftsfahrrad aus und flitzte zum Cap Croisette.
Jackie Lamours Villa zog mich magisch an. Es heißt ja, daß es Verbrecher immer
an den Ort ihrer Tat treibt.
    Das Wetter hatte sich gebessert. Ich
fuhr am Meer entlang. Der Wind war recht kühl, obwohl er aus einer Richtung
wehte, wo es warm sein mußte. Die bleiche Sonne ließ die Wellenspitzen
glitzern. Das Ortsschild mit der Aufschrift Bonneveine , „gutes Glück“,
erschien mir wie ein gutes Omen.
    Von einer erhöhten Stelle der
Küstenstraße aus sah ich hinter den Kiefern das Ziel meiner Radtour. Ich
beschloß, nicht den üblichen Weg zur Villa zu nehmen. Die Situation erforderte
höchste Vorsicht. Die Tänzerin könnte bereits wieder zu Hause sein, und ein
Besucher würde auf dem Zufahrtsweg schon von weitem gesichtet werden.
    Ich fuhr also ein Stückchen weiter zu
einem kleinen Wäldchen, das hinter der Villa lag. Dort stellte ich meinen
Drahtesel ab und setzte meinen Weg zu Fuß fort. Das hügelige Gelände mit seinen
Sträuchern und Tamarisken bot mir hervorragende Deckung. Ich beglückwünschte
mich zu meiner Vorsicht, als ich sah, daß die Fensterläden der Villa
offenstanden. Jackie war tatsächlich von ihrem Ausflug in die nichtbesetzte
Zone zurück. Es sei denn, sie hatte den heimischen Herd für immer verlassen und
ihre Nachmieter hatten sich bereits häuslich eingerichtet. Doch das glaubte ich
nicht. Ich warf einen Kieselstein in eins der Fenster, dessen Scheibe unter
großem Getöse zersplitterte. Ich duckte mich hinter einem Strauch und wartete.
Niemand kam zum Vorschein. Auch gut. Das Feld war freier, als ich gedacht
hatte. Ich richtete mich auf und lief zu der Hintertür, deren Schloß ich
zertrümmert hatte, um einen Einbruch vorzutäuschen. Das Schloß war repariert
worden und versah seinen Dienst, setzte meinem Drängen jedoch keinen
nennenswerten Widerstand entgegen.
    In der Küche fragte ich mich, was ich
eigentlich hier wollte. Die Antwort fiel mir nicht leicht. Atmosphäre
schnuppern, ein wenig herumstöbern, irgendeine Nebensächlichkeit entdecken und
meine Schlüsse daraus ziehen. Das war jedenfalls das ursprüngliche Ziel meines
Besuches gewesen. Jetzt, da ich sah, daß die Villa während Jackies Abwesenheit
nicht unbewohnt geblieben war, konnte ich möglicherweise mit mehr rechnen. Mit
dem Eintreffen irgendeines Untermieters? Irgendeines Dédés?
    Ich gelangte über den dunklen Flur in
den Salon. Hier herrschte helles Tageslicht. Fast sah alles so aus wie in der
Nacht, als ich die Briefe geklaut hatte. Seltsam! Man hätte meinen können,
jemand hätte inzwischen eine gründliche Durchsuchung vorgenommen. Man sah es
nicht, man roch es. Mich überfiel sofort noch ein anderes Gefühl, ganz
instinktiv. Das Haus war unbewohnt. Trotzdem waren vor kurzem die Fensterläden
geöffnet worden. Unbewohnt, ja, aber... Es schien so, als ob...
    Nachdenklich stand ich mitten im Raum,
das Gesicht zum Fenster. Irgend jemand stand hinter mir. Das war das
instinktive Gefühl, das mich überfallen hatte. Es war so deutlich, daß ich mir
nicht mal die Mühe machte, meinen Revolver (besser gesagt: den
Gemeinschaftsrevolver der Vielfrucht) in die Hand zu nehmen. Völlig
hoffnungslos, meine Lage. Im Rücken spürte ich förmlich den Lauf, der auf mich
gerichtet war.
    Ich wirbelte herum.
    Im Türrahmen lehnte ein Mann, auf den
Lippen ein spöttisches Grinsen. Sein Schnurrbart grinste mit, seine Augen sahen
zufrieden

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