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Das fünfte Verfahren

Das fünfte Verfahren

Titel: Das fünfte Verfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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ich am nächsten Morgen
erfuhr.
    Ich lag noch etwas kraftlos in meinem
duftenden Schlupfwinkel, als Jean Rouget zu mir kam. Es mußte so zwischen acht
und neun Uhr sein.
    „Du wirst am Telefon verlangt“,
verkündete er amüsiert. „Aber ich mußte schon ganz genau hinhören, um das zu
verstehen. Wasch dir lieber die Ohren, bevor du an den Apparat gehst. Der Mann
hat Artikulationsschwierigkeiten. Hört sich an, als hätte er ‘ne heiße
Kartoffel im Mund. Covet oder so ähnlich... Ach, richtig, da fällt mir ein,
dieser Covet hat gestern schon mal angerufen. So gegen halb sieben, du warst
nicht da...“
    Ich hörte schon nicht mehr zu. Wie der
Blitz sauste ich in Rougets Büro und riß den Hörer ans Ohr.
    „Hallo, Marc? Oh, mein Gott, bin ich
froh, Ihre Stimme zu hören. Ich dachte schon, Sie wären tot.“
    „...nuhun... ahah...“
    „Was? Sprachschwierigkeiten? Hat man
sie verprügelt?“
    „...un hie... Kohe sie heh...“
    „Klar, Alter! Bin schon unterwegs.“
    Ich rannte zurück, schlüpfte in meine
Klamotten und sprang, ohne mich zu waschen oder zu rasieren, auf das — Fahrrad.
    Marc Covet lag in seinem Hotelzimmer.
Er war sehr wortkarg. Eine Art rosa Halskrause und ein dunkelviolettes Monokel
schmückten ihn. Von nahem besehen, entpuppte sich der Halsschmuck als ein
Mullpflaster, und das Monokel war ein blaues Auge.
    „Rotkartoffel, ja?“ fragte ich in der
Gewißheit, mich nicht zu täuschen.
    Covet nickte stumm.
    „Zufällig oder weil Sie ihm gefolgt
sind?“
    Dazu konnte er weder nicken noch den
Kopf schütteln. „Weil ich ihm gefolgt bin, glaub ich.“
    Das hörte sich schon viel besser an
als durchs Telefon. „Möchte wissen, warum er Sie nicht umgebracht hat.“ Die
Augen des Journalisten funkelten. Besser gesagt, das eine, das noch funkeln
konnte.
    „Immer charmant!“ stieß er mühsam
hervor.
    „Nicht böse werden! Erzählen Sie mir
lieber, was genau passiert ist.“
    Ich verstand meinen Freund immer
besser. Übersetzt in Normalsprache, sagte er etwa folgendes:
    „Korb hat zum ersten Mal das Hotel
verlassen, und da hätte ich schon stutzig werden müssen. Er benutzte sich
selbst als Köder. Ein ganz Vorsichtiger, wie gesagt. Und dazu noch das richtige
Näschen. Hat irgendwie mitgekriegt, daß ich ihm auf den Fersen war. Also, er
ist zum ersten Mal rausgegangen, um seinen Verdacht erhärten zu können. Ich hab
ihm den Gefallen getan. Beim zweiten Ausflug waren wir ziemlich weit weg vom
Hotel. Er hielt nur nach einem einsamen Ort Ausschau, an dem er mir sagen
konnte, was er von mir und meiner Beschattung hielt... wenn er die Schnauze
davon voll haben sollte. An den Docks hat er wohl das Richtige gefunden. Auf
dem Rückweg zum Hotel ist er in eine Apotheke gegangen. Wahrscheinlich, um das
Zeug zu kaufen, das er mir später unter die Nase gehalten hat, zum Inhalieren.
Am Nachmittag ist dann ein furchtbar nervöser Knabe ins Hotel gekommen und hat
nach ihm gefragt.“
    „Moment! Wie sah der Knabe aus?“
fragte ich und gab eine Beschreibung von Dédé.
    „Genau der“, bestätigte Covet.
    „Sehr gut. Weiter.“
    „Sie... Hatschi! Au!“
    Das Gesicht des Journalisten verfärbte
sich. Es glich jetzt einer nicht mehr ganz frischen Aubergine. Der Leidende
stieß einen volltönenden Fluch aus und schimpfte:
    „Nicht genug, daß man mir die Fresse
poliert hat, ich mußte mich auch noch erkälten! Und jedesmal, wenn ich niese...
Sie können sich gar nicht vorstellen, was ich durchmache!“
    „Sie tun mir ja auch leid“, sagte ich
so mitfühlend wie möglich. „Aber Sie sollten sich wirklich freuen, daß Sie
überhaupt noch was spüren. Er hätte Sie umbringen oder einsperren lassen können.
Oder ab ins Konzentrationslager! Das Außergewöhnliche an der Geschichte ist die
Tatsache, daß er Sie nur... äh... belästigt hat. Völlig unerklärlich bei einem
Mann mit einem so langen Arm!“
    Marc warf mir einen wenig
freundschaftlichen Blick zu.
    „Jetzt reicht’s aber mit Ihren
humorvollen Trostsprüchen, Burma!“ fauchte er.
    „Aber ich meine das im Ernst“,
versicherte ich.
    „Wollen Sie nun die Fortsetzung der
Geschichte hören oder nicht? Wenn Sie mich hier verscheißern wollen, schmeiß
ich Sie raus! Soviel Energie bring ich immer noch auf.“
    „Also wirklich, eine ordentliche
Tracht Prügel kann einen Menschen völlig verändern! Ja, ja, ich bin schon
ruhig. Erzählen Sie!“
    „Nachdem dieser Dédé wieder
weggegangen war, hab ich versucht, Sie zu erreichen. Aber Sie waren

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