Das fünfte Verfahren
Barre alias Jackie Lamour zählt...“
Sein südlicher Akzent war so stark,
daß es die Polizei eigentlich nicht hätte erlauben dürfen.
15
Es rappelt ganz furchtbar
Florimond Faroux und ich fluchten
simultan. Er laut, sehr laut; ich leise, für mich. Doch war ich von uns beiden
sicherlich der heftigere.
„Den Vogel schnappen wir uns!“ schrie
der Kommissar und sprang von seinem Stuhl auf.
Der gebeugte Büromensch schien mit
seinem Erfolg zufrieden. Er fügte hinzu, immer noch beinahe flüsternd, während
sein tintenbeschmierter Finger über eins der Blätter fuhr:
„Das ist seine Adresse. Ich garantiere
jedoch für nichts. Sie wissen ja, bei dieser Art Gangstern kann man nie sicher
sein.“
„Wir werden trotzdem bei ihm
vorbeischauen. Himmeldonnerwetter! Los, Jungs, macht den Wagen startklar!“
„Aber...“, versuchte Bonvalet
einzuwenden.
„Ich weiß, was ich tu“, herrschte
Faroux ihn an und erstickte so seinen Widerspruch im Keim.
Vor Begeisterung rieb er sich die
Hände. Er war so glücklich, daß er mich einlud, an ihrem Einsatz teilzunehmen.
„Mit... Mit dem größten Vergnügen“,
stammelte ich.
Ich hatte Mühe, meinen Ärger
hinunterzuschlucken. Faroux bemerkte das und hörte auf, seine Handflächen
wundzuscheuern. Überrascht sah er mich an.
„Sie sagen das so, als müßten Sie zur
Beerdigung.“
„Ich? Im Ernst?“ lachte ich gezwungen.
Denn zum Lachen war mir ganz und gar
nicht zumute. Nein, es gefiel mir absolut nicht, daß Kommissar Faroux
Halbbruder Dédé vor mir zu fassen kriegte. Doch was konnte ich dagegen tun? Ich
mußte es einfach laufenlassen. Das hatte ich mir in den letzten Stunden schon
ein paarmal vorgenommen. Am Ende würde ich noch der Gelackmeierte sein.
* * *
Draußen schlug uns die Kälte entgegen.
Ein aufdringlicher Nieselregen machte die dunkle Nacht nicht gerade
gemütlicher. Paßte gut zu meiner Stimmung. Wir zwängten uns in den Dienstwagen
und fuhren los.
Florimond Faroux freute sich wie ein
Kind. Gleich würde er einem Zeugen gegenüberstehen, den er für wichtig hielt.
Ununterbrochen rieb er sich die Hände, und in regelmäßigen Abständen stieß er
ein „Prima, prima!“ aus, das mir jedesmal einen Stich versetzte. Mein Freund
stand kurz davor, mir das Wasser abzugraben. Und zwar, ohne es zu wissen, was
das Lustigste an der Geschichte war. Aber wie gesagt, ich hatte keine Lust zu
lachen. Ich hätte heulen können und machte ein dementsprechendes Gesicht. Doch
ich saß in der Ecke des Wagens, wo das Dach undicht war, und so konnte diese
ungünstige Plazierung als Grund für meinen grimmigen Gesichtsausdruck gelten.
Das war mir auch lieber. Ich legte keinen Wert darauf, Faroux’ Verdacht zu
erregen. Bis jetzt wußte er nicht — ich versuchte ja manchmal, es vor mir
selbst zu verbergen! — , daß ich ihm eine Kleinigkeit verheimlichte. Und was
für eine Kleinigkeit! Er hätte mich umgebracht, wenn er’s auch nur geahnt
hätte.
Doch so deprimiert ich auch war, meine
Situation hätte schlimmer sein können. Florimond & Co. hätten den
Vogel in seinem Käfig fangen können, ohne mir etwas davon zu sagen. Ein Glück,
daß ich der Sondervorstellung des Bürohengstes beiwohnen durfte! So konnte ich
auch gleich überprüfen, ob es sich bei Paulots Halbbruder tatsächlich um meinen
Dédé aus Saint-Barnabé handelte; Dédé, der so sehnsüchtig auf Jackie Lamour
wartete; Dédé, den Rotkartoffel kontaktiert hatte. Doch es gab keinerlei
Beweise gegen den Mann. Faroux hatte keinen Haftbefehl in der Tasche. Es würde
zu einer langweiligen, ergebnislosen Unterhaltung kommen. Auch wenn sie ihn
unter irgendeinem fadenscheinigen Vorwand einsperren sollten, müßten sie ihn
bald wieder auf freien Fuß setzen. Und dann...
Ich stopfte mir ein Pfeifchen und
zündete es an. Nach den ersten Zügen ging’s mir schon besser. Meine Situation
war gar nicht so hoffnungslos, wie ich gedacht hatte. Warum ließ ich wegen
einer solchen Lächerlichkeit gleich die Ohren hängen? Sicher, ich spielte ein
gefährliches Spielchen, das gefährlichste meiner bisherigen Karriere. Wie
leicht konnte ich dabei ins Gras beißen, von der einen oder anderen Partei
umgelegt werden! Einzelgänger haben’s schwer. Besonders, wenn man zu denen
gehört, die eine angefangene Sache auch selbst zu Ende führen müssen. Ich
konnte nicht einfach meine Karten auf den Tisch legen und sagen: „So,
Kommissar, spielen Sie für mich weiter!“ Nein, ich wollte selbst
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