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Das fuenfunddreißigste Jahr

Titel: Das fuenfunddreißigste Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Truschner
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beim Kuppeln und Blinken verursachte, herrschte immer noch eine stickige Stille. Unausgesprochenes hatte sich angesammelt, schwer und entzündbar wie Strohballen.
    »Stell dir vor«, sagte sie, »heute hat mich einer auf der Tankstelle ausgesetzt.«
    »Was?«, sagte ich und schloss dabei das Fenster, als ob ich sie sonst nicht richtig verstehen konnte. »Ausgesetzt? Was soll das heißen?«
    »Na, ausgesetzt halt. Wie man einen Hund aussetzt.«
    Was sie sagte, ergab für mich keinen Sinn, es klang geradezu grotesk.
    »Wuff«, sagte sie.
    »Also, das geht nicht, ich kann mich nicht zugleich auf dich und aufs Autofahren konzentrieren.«
    Es dauerte eine Weile, bis ich einen Parkplatz fand. Gerade noch hatte ich mich unwohl gefühlt angesichts der Stille. Nun verursachten ihre Worte ein noch größeres Unbehagen. Ich beschloss, Tatsachen zu schaffen. »Also, ich brauch jetzt was zu trinken«, sagte ich, zog den Schlüssel aus dem Zündschloss und hatte den Türgriff schon in der Hand.
    Meine zugegebenermaßen halbherzige Demonstration männlicher Entschlusskraft blieb ohne Wirkung. Sabine schüttelte den Kopf. »Hier im Auto ist es gut.« Sie sprach ganz leise, sodass ich die Tür loslassen und mich zu ihr hinüberbeugen musste, um sie zu verstehen.
    »Was?«
    »Hier im Auto ist es gut«, wiederholte sie, ohne lauter zu sprechen. Im Gegenteil: Beim nächsten Satz wurde aus dem Sprechen ein Hauchen. »Ich will nicht unter Leute.«
    »Warum nicht?«, fragte ich, der ich inzwischen ebenfalls leise sprach, da ich ihrem Gesicht sehr nahe gekommen war und mich für einen Moment wieder in einem jener Filme (ein Schwarzweiß-, kein Farbfilm) glaubte, in denen ein Mann und eine Frau so lange durch die Nacht fuhren, bis sie irgendwann doch stehen blieben.
    »Das klingt vielleicht bescheuert, aber … ich hab Angst, dass man’s mir ansieht.«
    »Was ansieht?«
    Ich neigte den Kopf, kniff ein wenig die Augen zusammen und spitzte die Ohren, sodass ich nach längerer Zeit wieder jenes Pfeifgeräusch vernahm, das mir von ein paar schallenden Ohrfeigen geblieben war, die ich als Jugendlicher von meiner Mutter bekommen hatte. Ich lauschte: nichts – nur der Tinnitus. Sabines Lippen bewegten sich, konnten sich jedoch nicht dazu entschließen, Worte zu formen.
    »Was ansieht?«
    Obwohl ich es nicht wollte, ja es an mir hasste, konnte ich nicht anders, als Sabines Nähe erregend zu finden. Etwas Vernünftiges, das in mir ankerte, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, viel dafür getan zu haben, sagte mir, dass ich von ihr abrücken musste. Stattdessen ließ ich es zu, dass ihr Kopf im nächsten Augenblick an meiner Schulter lag. Der Duft ihres Haargels drang mir in die Nase, ihre Haare verfingen sich in den Stoppeln meines Dreitagebartes. Bevor die Durchblutung meines Gehirns gegenüber der Durchblutung meines Unterleibs gefährlich an Bedeutung verlor und ich sie küsste, rang ich mir ein neuerliches »Jetzt sag schon! Was kann man dir ansehen?« ab, das in meinen Ohren weniger wie eine Frage, sondern wie ein Hilferuf klang. Sie sah mich an. Teile ihres Gesichts – die Augenlider, die Nasenflügel, die Mundwinkel – wurden von spinnwebenfeinen Beben heimgesucht, bis wenig später ihre Wangen feucht waren und sie in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch suchte.
    Die von der Straßenbeleuchtung und den Scheinwerfern vorbeifahrender Autos durchbrochene Dunkelheit um uns veränderte sich. Kurz zuvor war sie still und beklemmend gewesen. Nun war sie aufdringlich, geradezu schrill.
    Sabine hatte ihre Fassung wiedergefunden und wollte etwas sagen. Ich legte ihr den Zeige- und den Mittelfinger meiner linken Hand auf den Mund. Auf einmal wollte ich die Antwort auf meine Frage nicht mehr hören: Sie stand ihr ins Gesicht geschrieben. Es war wie ein Haus, in dem mit einem Mal alle Fenster und Türen aufgerissen worden waren. Wer sehen wollte, dem blieb nichts verborgen. Weder das Unverbrauchte noch das Verhärmte. Weder die Selbstzweifel noch die trotzige Selbstbehauptung. Weder die schleichende Resignation noch das Aufbäumen dagegen. All das, womit ein Mensch zu kämpfen hatte, der sich eher im Unglück wiederfand als im Glück, und der immer glaubte, eine gute Stimmung verbreiten zu müssen, wenn es ihm schlecht ging.
    Ich wusste inzwischen, dass es für diese Situation keine passenden Worte gab und dass alle Trost spendenden Gesten irgendwann durch den Anteil meiner eigenen Hilflosigkeit einen unangenehmen Beigeschmack bekamen. Also blieb

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