Das Fulcanelli-Komplott (German Edition)
einen realen Ort darstellten? Einen Ort, wie Anna angedeutet hatte, der markiert wurde durch Verbindungslinien zwischen existierenden Objekten in der Landschaft?
Es schien verrückt, doch auf der anderen Seite ergab es bisher den meisten Sinn.
Ben wandte sich wieder dem Vierzeiler zu.
These temple walls cannot be broken.
Diese Tempelmauern können nicht eingerissen werden.
Was für Tempelmauern konnte man nicht einreißen? Nicht die aus Stein, so viel schien festzustehen angesichts der zahlreichen Ruinen hier in der Gegend. Die Ritter des Albigenserkreuzzugs hatten unbarmherzig gewütet und keinen Stein auf dem anderen gelassen. Die Kirchen und Festungen ihrer Häretikerfeinde lagen in Schutt und Asche.
Doch dann kam ihm eine neue Idee. Was, wenn die Tempelmauern gar nicht erst aus Stein errichtet worden waren? Was, wenn es sich um die Linien eines unsichtbaren geometrischen Grundrisses handelte, die sich über das Land zogen, und nur die im Vierzeiler angesprochenen Gläubigen und Gerechten in das Geheimnis eingeweiht waren? Die marodierenden Kreuzritter hätten nicht einmal geahnt, dass ein solcher Tempel existierte. Weil seine Mauern unsichtbar waren. Ein virtueller Tempel.
Die Zeichnung war also eine Karte. Was auch immer das Haus des Raben sein mochte, es befand sich im Zentrum der Zeichnung und schien eine Landmarke für irgendetwas darzustellen. Eine Landmarke für irgendetwas, das einen möglicherweise in ernste Schwierigkeiten bringen konnte. Ein geheimer alchemistischer Schatz? Usberti war besessen von dem Wunsch, ihn zu finden. Die Nazis waren hinter ihm her gewesen. Vielleicht hatten diejenigen, die den Vernichtungsfeldzug gegen die Katharer angestrengt hatten, ebenfalls danach gegiert.
Bens Gedanken überschlugen sich. Er zerrte die Straßenkarte aus seinem Seesack, faltete sie auseinander und breitete sie auf dem Tisch aus. Mit dem Finger deutete er auf Rennes-le-Château. Das war der Ort, zu dem Fulcanelli ihn geführt hatte. Der Ort, an dem die Suche ihren Anfang nehmen musste – im Herzen des Katharerlandes, der Nabe des Geheimnisses um den verlorenen Schatz.
Er benutzte den Rand des resopalbeschichteten Tisches als Lineal und begann, mit dem Bleistift Linien über die Karte zu ziehen. Schon bald bemerkte er, wie gewisse Muster zutage traten.
Saint-Sermin – Antugnac – La Pique – Bugarach.
Couiza – Le Bezu.
Esperaza – Rennes-les-Bains.
Und wenigstens noch ein Dutzend weitere. Allesamt perfekte Geraden, die die in der Umgebung liegenden Kirchen, Burgen, Ortschaften und Ruinen miteinander verbanden. Und all diese Linien gingen direkt durch den Punkt, wo er saß, das Zentrum von Rennes-le-Château. Diese bizarre Entdeckung schien zu bestätigen, dass er die richtige Stelle gefunden hatte. Weitere Geraden, und bald schon erzeugte er ein ausgedehntes Netzwerk, das sich verblüffenderweise über die gesamte Gegend erstreckte.
Gäste betraten das Café und gingen wieder, doch Ben bemerkte sie nicht einmal. Sein Kaffee stand vergessen an der Seite und war längst kalt. Er war wie besessen von dem schwindelerregenden Gewirr kontrollierter Komplexität, das sich unter seinem Bleistift entfaltete. Nach einer Stunde hatte er einen perfekten Kreis geschaffen, dessen Linie vier alte Kirchen in der Gegend miteinander verband – Les Sauzils, Saint-Ferriol, Granès sowie Coustaussa. Zu seiner Verblüffung erzeugten die Geraden, wenn man sie weiterzog, einen sechszackigen Stern, dessen Spitzen perfekt in den Kreis passten und genau die ersten beiden Kirchen berührte. Das Zentrum dieses ersten Kreises lag in Esperaza, jener alten Ortschaft im Tal unterhalb von Rennes-le-Château.
Nach einer weiteren Stunde begann sich das Personal zu fragen, wie lange der merkwürdige Gast noch an seinem Platz sitzen und in der Karte herumkritzeln würde. Ben hatte seine Umgebung vergessen. Er hatte einen zweiten Kreis erschaffen, den er nun mit sicherer Hand nachzog. Sein Zentrum war ein Ort namens Lavaldieu – Tal Gottes . Die beiden Kreise waren von identischer Größe und zogen sich diagonal in nordwest-südöstlicher Richtung über die Karte. Er zeichnete weitere Linien und schüttelte voll ungläubigem Staunen den Kopf, als nach und nach die komplexen alchemistischen Symbole offenbar wurden.
Das Hexagramm im Esperaza-Kreis hatte zwei südliche Spitzen in Les Sauzils und in Saint-Ferriol. Das Pentagramm im Lavaldieu-Kreis besaß zwei nach Westen zeigende Spitzen in Granès und Coustaussa. Eine
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