Das Gebot der Rache
das grüne Logo der Drehbuch-Software Final Draft an. Mit einem schweren Seufzen öffnete ich das Dokument Ohne Titel .
Die letzte Szene, an der ich gearbeitet hatte, war der Höhepunkt des ersten Aktes (ganz nach Lehrbuch ungefähr auf Seite dreißig des hundertzwanzig Seiten starken Skripts angesiedelt). Welles, der Held, schnüffelt in der Kellerruine eines alten Bürogebäudes herum und stolpert versehentlich über einen uralten Laptop – ein Gerät, das ihm völlig unbekannt ist –, dessen Akku immer noch so viel Strom hat (ein Problem, für das ich natürlich noch keine Lösung parat hatte), dass er den Rechner hochfahren kann. Mir fiel auf, dass sich die Szene fast bis auf Seite vierzig zog. Da gab es noch einiges auszudünnen. Also las ich stöhnend, was ich zuletzt geschrieben hatte – besonders plumpe Dialogpassagen entlockten mir sogar kleine Schmerzensschreie. Ich löschte einige Stellen, dachte einen Moment nach und tippte dann los:
KELLER INNEN / NACHT
Es ist dunkel. Durch Risse in der Mauer der Ruine fällt trübes Tageslicht. Als Welles mit der Hand über das seltsame schwarze Plastikobjekt fährt, berührt er aus Versehen den »An«-Schalter. Plötzlich erwacht der Laptop zum Leben, das sanfte blaue Leuchten des Bildschirms wirkt in dieser Welt so fremdartig und futuristisch wie der Obelisk in 2001 . Erstaunt weicht Welles zurück.
Mein Tutor im Kurs für Kreatives Schreiben hatte mir den Floh ins Ohr gesetzt, ich müsste irgendetwas Literarisches machen. Doch bei der Vorstellung, mich an einem Roman zu versuchen, überkam mich die blanke Panik. Drei- oder vierhundert Seiten? Sich mit Joyce, Nabokov und Proust messen? Ein Drehbuch hingegen brauchte nur knapp hundert Seiten lang zu sein. Mit vielen Dialogen. Und man maß sich mit … ja, mit wem eigentlich genau? Joe Eszterhas? Oder dem Typen, der Zebo, der Dritte aus der Sternenmitte geschrieben hatte? Das erschien mir weniger einschüchternd.
Wie so viele Trottel vor mir lag ich gründlich daneben. Im Laufe der letzten fünf Jahre hatte ich mich – inspiriert durch einen ganzen Stapel Leitfäden – an drei Drehbüchern probiert und alle irgendwo zwischen dem ersten und dem zweiten Entwurf verworfen. Da war der Science-Fiction-Western: eine Art Neuinterpretation von Rio Bravo , angesiedelt auf dem unwirtlichen Mond eines weit entfernten Planeten. (»Man nehme die wesentlichen Elemente eines Klassikers und verpflanze sie in eine völlig andere Umgebung.«) Da war der Monster-Film: ein Horrorstreifen mit riesigen, prähistorischen Käfern in den Schächten einer verlassenen Mine. (»Gute Ideen für Low-Budget-Horrorfilme lassen sich immer verkaufen.«) Und dann gab es da noch das Roadmovie über zwei alte Freunde, die losziehen, um gemeinsam ihre College-Liebe aufzuspüren. (»Männerfreundschaften gehen immer.«) Durch die Arbeit an diesen Katastrophen hatte ich vor allem eines gelernt: dass Drehbücher nämlich in Wahrheit verdammt schwer zu schreiben sind. Dass ihre Qualität abhängig ist von Dichte, Reduktion und insbesondere, wie jede Form des fiktionalen Schreibens, von jener alles entscheidenden Lebensnähe, die einzig dadurch zu erzielen ist, dass der Autor seine persönlichen Erfahrungen in die Zeilen mit einfließen lässt.
Ich war in vielerlei Hinsicht ein guter Student. Jahrelang setzte ich alles um, was ich in den Vorlesungen lernte. Ich verordnete mir tägliche Schreibzeiten. (Wie Stephen King schon sagte: »Die Chancen, dass die Muse dich besucht, erhöhen sich, wenn sie immer weiß, wo sie dich finden kann.«) Ich hatte William Goldmans Maxime »Die drei wichtigsten Aspekte des Drehbuchschreibens: Struktur, Struktur und Struktur« verinnerlicht und mir Syd Fields Ratschlag »Kenne dein Ende!« zu Herzen genommen. Mehr als in allen anderen fand ich mich in David Mamets Beobachtung wieder, dass Künstler davon getrieben wären, »die Last des unerträglichen Missverhältnisses zwischen ihrem Bewusstsein und ihrem Unterbewusstsein zu verringern, um so Frieden zu finden«. Aber genau das war es, was mir nicht so recht gelingen wollte.
Denn an ebenjenem Ort, von dem ich erzählen wollte, fand ich bloß ein gähnendes Nichts. Gut, kein Nichts im eigentlichen Sinne. Es war eher eine zugesperrte Schatzkammer, meine ganz persönliche Kellerszene.
Ich las die Seite noch einmal, löschte den größten Teil und beschloss, zum Essen in die Stadt zu fahren.
14
Alarbus, Saskatchewan – Einwohnerzahl 12000 – lag sechs Meilen südlich
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