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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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die Pinienholzbank im Umkleideraum und genoss das warme, bernsteinfarbene Brennen, den himmlischen Geschmack des Tabaks, während ich zusah, wie sich die Dämmerung über den Garten legte. Die letzten Lichtstrahlen fielen durch die staubigen Fenster, und der Rauch durchzog sie in schimmernden Strähnen. Ich nahm noch einen Schluck, steckte mir noch eine Kippe an und lag eine Weile einfach nur da, bis ich nervös wurde, den Raum lüftete und durch den Garten zum Haus lief, wo ich mich duschte, umzog, mich mit Aftershave übergoss und mir dreimal die Zähne putzte, bevor Sammy und Walt nach Hause kamen. »Du riechst gut, Daddy«, hatte Walt damals gesagt.
    Das perfekte Verbrechen.
    »Bitte sehr.« Bens Stimme ertönte wie aus dem Nichts, riss mich aus meinen Erinnerungen. »Genau wie bei Muttern.« Er setzte die Schüssel und ein Körbchen mit Besteck vor mir ab. »Brauchst du sonst noch was?«
    »Nein, alles bestens. Danke, Ben.«
    »Guten Appetit.«
    Das Ragout war dickflüssig, von einem tiefen, rötlichen Braun, mit Kartoffelstücken, Erbsen und zartem Hirschgulasch. Heißer Dampf stieg davon auf und wärmte mein Gesicht. Wie bei Muttern. Ich versuchte mir vorzustellen, wie meine Mutter Karotten, Sellerie und Lauch fürs Suppengrün würfelte, eine Flasche Rotwein in einen Topf mit fünf Pfund Hirschgulasch schüttete, die köchelnde Soße immer wieder abschmeckte – und war kurz davor, laut aufzulachen. Nein, Monsieur Proust, das hatte nichts mit Ihrer unwillkürlichen Erinnerung zu tun. Das Essen meiner Kindheit sah anders aus: Fischstäbchen und Dosenspaghetti, Hackbraten mit Kartoffeln, Campbell’s Tomatensuppe, Tiefkühlkroketten und Erbsenpüree. Der bloße Gedanke, meine Mutter würde etwas wie dieses Ragout zubereiten, war aberwitzig. Wie die Vorstellung, dass einer dieser TV-Sterneköche mit dem Dosenöffner eine Büchse Corned Beef bearbeitet.
    Nun musste ich wirklich lachen.

15
    Gegen Bannys Familienleben sah meines aus wie das der Waltons. Er war damals eines der wenigen Kinder gewesen, dessen Eltern geschieden waren. Seine braune Adidas-Tasche mit ihren Edding-Graffitis (»Mods«, »1690«) über die Schulter geworfen und alle zehn Schritte auf den Boden spuckend, schien er zwischen seiner Mutter und seinem Vater hin und her zu pendeln, um immer so lange bei einem Elternteil zu bleiben, bis er lästig und zum anderen abgeschoben wurde. Mein Familienleben war steril und lieblos, aber in der Regel stand zu festen Zeiten etwas zu essen auf dem Tisch. Meine Eltern legten großen Wert darauf – auch wenn sie es nicht immer überprüften –, dass ich zu halbwegs vernünftigen Zeiten ins Bett ging, und meine Sachen wurden gewaschen. Banny hingegen lebte von Fastfood, Pizza und dem China-Imbiss. Manchmal roch er ein wenig streng.
    Die Scheidung seiner Eltern wurde niemals angesprochen. Ich hatte ihn selten so ausrasten sehen wie damals, als Adam Adrian ihn im Streit einen Bastard nannte. Normalerweise warfen wir uns weitaus schlimmere Beleidigungen an den Kopf, aber die Wortwahl war in diesem Fall ziemlich ungewöhnlich. In unserem Sprachgebrauch war »Bastard« damals etwas, was man sagte, wenn man mit dem Luftgewehr auf eine Möwe oder einen tschilpenden Spatzen zielte und danebenschoss. »Du Bastard, du!«, rief man dann, wenn der Vogel davonflatterte. Bastard als direkte Beleidigung war eher selten. Wir nannten uns bevorzugt Wichser , Schwuchtel , Fotze , Pisser , Missgeburt und Penner . »Lahmer Bastard« sagte man schon mal, wenn jemand besonders langsam oder schwer von Begriff war. Aber es war nicht »lahmer Bastard«, was Adam in jener Pause zu Banny sagte, als wir uns hinten bei den Mülltonnen die qualmenden Kippen hin und her reichten. Ich weiß nicht mehr, worum es bei dem Streit ging, aber Adam drehte sich von Banny weg und keifte: »Du dreckiger Bastard, du.«
    »Wie hast du mich grade genannt?«, fragte Banny, während wir anderen zurückwichen. Er hatte verstanden: Adam hatte ihn einen Bastard genannt, weil seine Eltern nicht verheiratet waren. Ein paar Minuten später, mit blutiger Nase, einem wackelnden Schneidezahn und dem gerade noch sichtbaren Abdruck eines Do c -Martens-Stiefels auf der Wange, nahm Adam es zurück.
    Bannys Eltern waren jung. Seine Mutter hatte kurz nach ihrem sechzehnten Geburtstag geheiratet, als unter dem billigen Brautkleid bereits der kleine Banny strampelte. Sie war achtundzwanzig, als ich Banny kennenlernte, sein Dad vielleicht ein Jahr älter. Folglich taten

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