Das Gebot der Rache
Generator ausgestattet, der immer noch läuft. Oder vielleicht muss ich das auch gar nicht so genau erklären. Wird der Leser diese Szene wirklich hinterfragen? Wäre es nicht möglich, dass es sich bei dieser Passage um genau das handelt, was Jonathan Demme einen »Kühlschrank-Moment« nennt? Etwas, das die Leute im Kino sehen … und dann, ein paar Stunden später, wenn sie längst wieder zu Hause sind und den Kühlschrank öffnen, um sich was zu trinken zu holen, fragen sie sich plötzlich: »Moment mal, wie kann es sein …?« Also ist der Akku des Laptops eben einfach noch nicht völlig leer. Warum auch nicht? Allmählich schwand meine Unsicherheit. Unter Umständen könnte es funktionieren.
Sammy – als Mitglied des hiesigen Geldadels in Ausschüsse und Komitees der Wohlfahrtsorganisationen hineingeboren – hatte mich bis zu einem gewissen Grad als Projekt angesehen. Etwas, das es zu unterstützen, zu fördern und zu verändern galt. Als Erstes hatte das Rauchen dran glauben müssen. Ohne Wenn und Aber. Dann wurde das Trinken eingeschränkt. In meiner Heimat wurde bis zum Exzess gesoffen. Wo Sammy herkam, betrachtete man hingegen bereits den dritten Drink als üble Angewohnheit. An Drinks wurde genippt. Ein oder zwei Gläser Wein zum Essen mussten reichen. Ich sah mich selbst nie als Trinker, aber in meinen Junggesellenjahren hatte sich so manche Marotte eingeschlichen: die Flasche Wein beim Kochen, die oft schon leer war, wenn die Mahlzeit auf den Tisch kam, gefolgt von einer zweiten, die ich wiederum geleert hatte, bevor ich zu Bett ging. Es half gegen die Angstzustände, gegen das schleichende Gefühl der Furcht und Beklemmung, das mich Abend für Abend mit der Dämmerung übermannte. Für Sammy galt das Öffnen einer zweiten Flasche Wein bereits als »saufen«. Mittlerweile trank ich beim Kochen Diät-Cola oder Sprudelwasser, schenkte mir erst ein Glas Wein ein, wenn wir alle am Tisch saßen, und gönnte mir nur hin und wieder ein zweites. Ganz selten, wenn Sammy beschäftigt war und ich allein abräumte, erlaubte ich mir ein drittes Glas.
Mir schien es immer, als würde ich mich bereitwillig in ihr Optimierungsprogramm fügen. Es gab keinen Grund, ihr irgendetwas davon übel zu nehmen. Aber hin und wieder, wenn das zweite Glas Wein seine Wirkung entfaltete, überkam mich das dringende Bedürfnis, die Flasche Scotch aus dem Schrank zu holen und mir vor ihren Augen einen hinter die Binde zu gießen. Wenn wir unser Erbgut verantwortlich machen, suchen wir die Schuld eigentlich bei uns selbst. Manchmal konnte ich beinahe spüren, wie meine Gene sich aufbäumten, wie meine DNA ihre Ketten zu sprengen drohte und rief: »Das ist es, was wir wirklich wollen!«
In den zehn Jahren unserer Beziehung hatte es ein oder zwei kritische Situationen, Momente des Trotzes gegeben. Eines Abends war ich mit ein paar Redakteuren und einigen anderen Schreibern zum Essen verabredet gewesen. Am Ende landeten wir in einer Bar in Regina und gaben uns die Kante. Jemand bot mir eine Zigarette an, und ich griff zu. Dies löste ein so lange verschüttetes Glücksgefühl aus, dass ich eine ganze Packung geraucht hatte, bevor ich in den frühen Morgenstunden, nach Alkohol und Tabak stinkend, nach Hause getorkelt kam. Sammy hatte mir drei Tage lang die kalte Schulter gezeigt. Drei Tage, in denen wir uns beim Essen anschwiegen und – nachdem Walt im Bett war – in getrennten Zimmern vorm Fernseher saßen. In denen Sammy so weit auf ihrer Seite des Bettes schlief, wie es ohne herauszufallen möglich war. Am dritten Abend entschuldigte ich mich und versprach ihr, dass so etwas nie wieder vorkommen würde, woraufhin die Dinge allmählich zur Normalität zurückkehrten.
Dann war da noch jener Frühlingstag vor ein paar Jahren. Angesichts des angekündigten wärmeren Wetters hatte ich in der Werkstatt im Poolhaus damit begonnen, erste Vorbereitungen für den nahenden Sommer zu treffen, das Krocket-Set hervorzukramen und die Heizanlage des Schwimmbeckens wieder in Betrieb zu nehmen. Sammy und Walt waren unterwegs. Ich wühlte gerade auf einem der oberen Regalbretter herum, als ich in einer Werkzeugkiste unseres Gärtners eine Halbliterflasche Canadian Club, ein Päckchen Lucky Strike und unter dem Zellophan der Zigarettenpackung ein Streichholzbriefchen fand. Aus einem beknackten Impuls heraus goss ich einen großen Schluck Whisky in eine Plastiktasse. Ich kippte die Hälfte davon runter, zündete mir eine Zigarette an, setzte mich auf
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