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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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denken.«
    »Ich doch auch.« Ich legte meine Hand auf seinen Arm. »Das ist ganz normal, Walt.«
    »Meinst du, wir können irgendwann einen neuen Hund haben?«
    »Klar.«
    Er hat sich selbst die Zunge abgebissen.
    »Ich würde ihn aber nicht Herby nennen.«
    »Wir können ihn nennen, wie immer du willst. Alles außer Pimmellutscher ist okay.«
    Walt lachte über das verbotene Wort. Vom Wein etwas entspannt, sah ich meine Chance. »Hör mal, Walt. Es tut mir leid wegen neulich. Dass ich laut geworden bin wegen dieser Handy-Sache.«
    »Schon okay.« Er zuckte mit den Achseln.
    »Es ist halt … als ich ein Kind war, da hatte ich nicht so schöne Sachen wie du. Manchmal ist das nicht ganz einfach für mich, wenn ich sehe, dass du so wenig darauf achtest. Aber ich hätte dich nicht so anschreien dürfen.«
    »Hat dein Onkel dich angeschrien, als du klein warst?« Walt kannte nur die offizielle Version meiner Vergangenheit.
    »Hin und wieder.«
    »Warst du oft böse?«
    »Ich schätze, das war ich wohl manchmal. Jetzt pass mal auf.«
    Ich stellte die Grillpfanne, in der ich die Ente gebraten hatte, zurück auf den Herd und drehte die Flamme voll auf, bis die trockene Pfanne knisterte. Ich kippte ein Glas Wein hinein, und es begann sofort wie verrückt zu spritzen, zu zischen und zu blubbern. Ich neigte die Pfanne und ließ die Flamme vom Gasherd in die Flüssigkeit lecken. Blau-orangefarbene Zungen loderten zwanzig Zentimeter hoch in die Luft.
    »Boah!«, rief Walt begeistert.
    Ich blies die Flamme aus, kratzte mit einem Holzlöffel kleine Stückchen karamellisierter Ente vom Pfannenboden und rührte sie in die Soße. Schließlich fügte ich ein Stück Butter hinzu, um sie weiter anzudicken und ihr einen schönen seidigen Glanz zu verleihen. Dann ließ ich sie auf kleiner Flamme köcheln. »Also gut«, sagte ich und klatschte in die Hände, »das Essen ist in fünf Minuten fertig. Lass uns noch mal versuchen, deine Mom zu erreichen.« Ich griff nach dem schnurlosen Telefon und hob es an mein Ohr, riss es jedoch sofort wieder weg, als nur ein schriller Ton aus dem Hörer kam. Ich probierte es erneut, und wieder ertönte bloß dieses tote Fiepen.
    »Mist.«
    »Was ist los?«
    »Ich glaube, die Telefonleitung ist tot.«
    »Tot?«
    »Das heißt kaputt. Vielleicht wegen des Sturms.«
    Ich blickte auf mein Handy – kein einziger Balken war in der Anzeige für die Signalstärke zu sehen – und seufzte. »Mach dir keine Sorgen. Mommy geht’s gut, da bin ich mir sicher.« Ich langte nach der Flasche Shiraz und sah, dass sie fast leer war. Trotzdem goss ich den Rest in mein Glas. »Na komm. Lass uns die Teller holen. Wie wäre es, wenn wir vor dem Fernseher essen und einen Film anschauen?« Ein seltenes Vergnügen, das Sammy normalerweise untersagte.
    »Yippieh!«, rief Walt. Hinter ihm taumelten die Schneeflocken durch die schwarze Nacht und prallten lautlos gegen die dicken Glasscheiben.
    Warst du oft böse?
    * * *
    Über die Tat selbst hatten wir monatelang nicht gesprochen. Bis zum Winter 1984. Die Bäume waren noch kahl, der ohnehin stets graue Himmel verdunkelte sich bereits um fünf Uhr nachmittags. Inzwischen waren wir bei Shakespeare angelangt. Mr. Cardew hieß für mich damals noch nicht Paul, bis dahin sollte noch einige Zeit vergehen. Doch wir waren uns nähergekommen. Ihm gelang es, dass ich mich da öffnete, wo ich mich sonst verschließen musste, um in der Haftanstalt zu überleben. Er zeigte mir, dass das, was ich damals war, nicht zwangsläufig definierte, wer ich später einmal werden würde.
    Wir beschäftigten uns mit Macbeth , für die Englischprüfung zur Mittleren Reife, und hatten gerade die Szene gelesen, in der Duncans Frau und sein Baby getötet werden. Ich schwieg. Er legte sein Buch zur Seite, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. »Lass dir Zeit, William«, sagte er sanft.
    »Wie bitte?«
    »Was immer dir gerade durch den Kopf spukt. Lass dir Zeit damit.«
    Ich blickte auf meine Gefängnisschuhe aus Plastik und sprach leise durch den Pony, der mein Gesicht verbarg. »Die Menschen hassen uns. Sie hassen mich.«
    »Wer hasst dich?«
    »Jeder. Für das, was wir getan haben.«
    Ich schaute verstohlen zu ihm rüber. Er kaute auf dem Bügel seiner Brille herum, ohne mich anzusehen. Abermals herrschte Stille in diesem traurigen, grauen Raum. »Na ja«, sagte er nach ziemlich langer Zeit, »mich erstaunt immer wieder, wie sehr kindliche Grausamkeit die Menschen zu überraschen vermag. Sieh dir doch

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