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Das Gebot der Rache

Das Gebot der Rache

Titel: Das Gebot der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
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Ratte warf sich gegen das Glas, aufgebracht, verwirrt, die ekligen gelben Zähne entblößt. Walt schrie in seinen Knebel und warf den Kopf von einer Seite auf die andere.
    »Ich habe sie wochenlang hungern lassen.«
    Ich spürte, wie ich allmählich den Verstand verlor.
    »Sag mir, William …« Sie kam zu mir, kniete sich neben mich und nahm mir den Knebel aus dem Mund.
    »Bitte«, flehte ich sie an.
    »Was ist an diesem Tag wirklich passiert? Was hast du ausgelassen? Ich hatte fast dreißig Jahre Zeit für Spekulationen. Wenn du ehrlich zu mir bist, lasse ich mich vielleicht davon überzeugen, dieses Glas wieder in die Tasche zu stecken, und gewähre Walt einen halbwegs schnellen Tod.«
    Von Walt kam kein Laut. Er wurde leichenblass.
    »Ich habe es Ihnen doch gesagt.« Ich weinte. »Es war Banny. Er …«
    »Bist du dir sicher?«
    »Bitte …«
    Es war an der Zeit, zurückzukehren. Zurück zum Flussufer.

40
    Docherty ging auf Banny los.
    Vom ersten Moment an war klar, dass er in seinem ganzen Leben noch nie jemanden verprügelt hatte. Mit gesenktem Kopf schlug er blindlings drauflos. Banny, ein langjähriger Veteran von Schulhofraufereien und Straßenkämpfen, trat einfach zwei Schritte zurück und steckte ein paar schwache Schläge gegen den Arm ein, bevor er Docherty an den Haaren packte und dessen Kopf langsam zu Boden zog.
    »Aua! Aua!«, quiekte der Professor.
    Banny trat Docherty mit Wucht ins Gesicht, einmal, zweimal, dreimal. Dann ließ er ihn los. Der Professor stolperte rückwärts und fiel zu Boden. Blut lief ihm aus Mund und Nase. Trotzdem bemühte er sich, wieder hochzukommen. Mit zitternden Beinen stand er da.
    » KOMM DOCH HER! «, brüllte Banny.
    Es war wie ein Traum, wie ein Albtraum, ein Video. Einer dieser Horrorfilme, die wir uns an diesen nicht enden wollenden Nachmittagen nach der Schule ansahen. Die Vorhänge im Wohnzimmer des schäbigen, kleinen Hauses zugezogen, der flimmernde Fernseher das einzige Licht im Raum. Die Dinge passierten nun rasend schnell, wie im Zeitraffer, und doch schien es Ewigkeiten zu dauern. Slow Motion. Standbild. Banny, der Docherty mit dessen Angel auspeitschte. Schreie, die ich nicht hören konnte. Tommy – das Kinn in schrecklicher Entschlossenheit nach vorn geschoben –, der immer wieder mit dem Fuß ausholte, echtes Blut auf seinen ochsenblutroten Do c -Martens-Stiefeln. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel auf das Verbrechen herab, am Flussufer war in beide Richtungen meilenweit keine Menschenseele zu sehen, die Büsche und das Wehrhäuschen die einzigen Zeugen. Docherty wurde die Hose runtergezogen, dann seine Unterhose. Mit blutigen, zitternden Händen klammerte er sich an seinen letzten Fetzen Würde (»Nein, nein, nein, bitte, nein …«). Dann hob sich die bronzefarbene Rute in den blauen Himmel, die Sonne glitzerte auf dem Grafitschaft, als dieser pfeifend die Luft durchschnitt, einen silbernen Faden hinter sich herziehend. Die roten Spritzer auf seinen Schenkeln, seinem Hintern, das Blut. Immer mehr Blut. Sein Gesicht – dieses Gesicht, das ich immer noch jede Nacht vor mir sehe, wenn ich mit dem Schlaf ringe –, in dem Dreck und Steinchen klebten, blut- und tränenverschmiert, wie es flehend zu mir aufblickte. Tommy, der auf seinem Rücken kniete. Banny auf seinen Beinen, die zerbrochene Angelrute mit der Faust in Richtung seines …
    Ein gellender Schrei.
    Das war jetzt weit genug gegangen, zu weit, viel zu weit. Aber es sollte noch weitergehen, das Ende war noch längst nicht erreicht. Tommy trat nun auf Dochertys Kopf, hüpfte, stolperte, fiel hin, lachte. Dann kletterte ich auf das Mäuerchen über Docherty, und Banny feuerte mich an: »Los schon, Willie! Mach es!« Und ich sprang, meine schwarze Silhouette von Sonnenlicht umrahmt.
    Die Arme ausgestreckt, mit den Füßen voran, wie in einen Pool ( VOM BECKENRAND SPRINGEN VERBOTEN ). Wie ein grausamer Raubvogel im Sturzflug, meine Füße die Krallen, tiefer und tiefer, geradewegs auf Dochertys Kopf zu. Der Professor winselte, versuchte davonzukriechen, die glitzernde Rute zitterte im Rhythmus seiner Schluchzer. Mein Gesicht, voller Schadenfreude. Der Aufprall …
    Ich stand auf, trat zur Seite, strich meine Harrington glatt, klopfte mir den Staub von der Jacke und wischte mir das Haar aus der Stirn.
    Zurück in der Echtzeit durchbrach das Kreischen einer Möwe die Stille. Weiß auf grau flog sie tief über den Fluss, so schnell, dass ich die Bewegung nur aus dem Augenwinkel wahrnahm.

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