Das gebrochene Versprechen

weiter.«
    »Das war kurz nach dem Brand in
Pacific Palisades. Er und Ihre Schwester hatten sich schon seit Jahren immer
mehr auseinander gelebt, und es war, als hätte das Feuer das bisschen, was
zwischen ihnen noch da war, auch noch zerstört. Und das... wie soll ich sagen?
Das Knistern, das immer von ihm ausgegangen war, war weg — das Erotische, das
auf der Bühne immer so gut rüberkam. Verflixt, er hat nicht mal mehr
herumgevögelt, wenn er auf Tour war. Seine Ehe siechte vor sich hin und seine
Lebensgeister ebenfalls.«
    Ich sah den Anwalt nach seinem
Glas greifen und trinken, so ruhig und unbeteiligt, als spräche er vom Wetter.
Aber er sprach von Rickys Leben — und von dem meiner Schwester und meiner
Neffen und Nichten. Mir kam ein schrecklicher Verdacht, und mein Mund wurde
ganz trocken. Amory hatte noch Monströseres getan, als ich ihm vorhin
vorgeworfen hatte.
    »Also«, sagte ich, »haben Sie
ein paar Gerüchte ausgestreut, um das Zerbrechen dieser Ehe zu beschleunigen.«
    Er zuckte ungerührt die
Achseln. »Das war nicht direkt meine Absicht. Es interessierte mich, ehrlich
gesagt nicht, was aus der Ehe wurde. Ich wollte ihn nur ein bisschen
aufrütteln. Wenn er und Charly es überstünden und es ihre Beziehung festigen
würde — gut; wenn sie es nicht in den Griff kriegen würden, konnte er froh
sein, da rauszukommen. Und es klappte auch: Als Ihre Schwester sich noch weiter
von ihm zurückzog, stürzte er sich in die Arbeit — und zwar voller echter
Emotionen. ›Midnight Train to Nowhere‹ und die übrigen Songs auf diesem Album
sind das Beste, was er je geschrieben hat.«
    Um welchen Preis...
    Bemüht, meinen Zorn vorerst
hinunterzuschlucken, sagte ich: »Kommen wir zu den Dingen, die Sie ›Starwatch‹
hinterbracht haben. Hatten Sie denn keine Angst, seine Glaubwürdigkeit zu
beschädigen, so kurz vor dieser Tour?«
    »Ach, er hat Ihnen auch dieses
Glaubwürdigkeitszeug aufgetischt. Ich gebe ja zu, im Moment ist das ziemlich
›in‹, vor allem im Country-Bereich, wo das Publikum überdurchschnittlich konservativ
ist. Aber was sich wirklich verkauft — und immer verkauft hat — ist Sex. Wir
wollen unsere Idole in allem überlebensgroß und in einem Maß sexy, wie wir es
nicht sind. Und wir wollen sie auch in einem gewissen Maß fehlbar. Wenn diese
Mischung stimmt, sind wir unverrückbar auf ihrer Seite. Nehmen Sie dieses
Konzert in Sonoma County, wo er ›The House Where Love Once Lived‹ Charly
gewidmet hat. Rats hat mir erzählt, die Reaktion war phänomenal. Jeder einzelne
Zuhörer war irgendwann selbst mal an diesem Punkt; jeder einzelne Zuhörer war
auf seiner Seite.«
    Amory hielt inne, um zu
trinken. Ich wartete ungeduldig.
    »Und Rats hat mir auch erzählt,
dass Ricky von dort mit einer Frau weggefahren ist«, fuhr er fort. »Mit einer
sehr attraktiven Frau, nachdem er zwei, drei Jahre wie ein Pfadfinder gelebt
hatte. Das gab mir zu denken, und ich habe mir die Situation am nächsten Tag
bei ihm zu Hause genau angesehen. Es war nicht schwer herauszukriegen, dass er
eine Menge Privatgespräche mit San Francisco führte, sowohl vom Büroapparat als
auch von seinem Handy aus, und es war auch nicht schwer festzustellen, welcher
Natur diese Gespräche waren.«
    »Sie haben seine
Privatgespräche mit Rae belauscht?«
    »Nur, bis ich wusste, was da
lief. Ich glaube nicht, dass die beiden sich das zu dem Zeitpunkt bereits
eingestanden hatten, aber für mich war offenkundig, dass sich da rapide eine
heiße Geschichte entwickelte. Und ich sah darin eine Möglichkeit, die Art
Identifikation zu fördern, die die Leute in Sonoma County mit ihm eingegangen
waren — nur auf wesentlich breiterer Ebene. Auch das hat geklappt: Das
Zerbrechen seiner Ehe und die Affäre mit Ihrer Angestellten haben sein Image
bereits aufgepeppt.«
    »Ach, erzählen Sie doch nichts,
Amory.«
    »Doch, ich habe den Beweis. Vor
ein paar Tagen hatten wir noch Sorge, wie wir das Universal Amphitheatre voll
kriegen sollten — das ist ein Riesending, eigentlich eher etwas für einen
Rockstar — , aber heute Vormittag war das Konzert ausverkauft. Durch den
Klatsch und den günstigen Zufall, dass die Single im Radio boykottiert wurde,
haben wir jetzt einen potenziellen Megahit.«
    Ein zweiter Verdacht, so
grässlich wie der erste, regte sich in meinem Kopf. Ich starrte Amory an,
sträubte mich, selbst einem so kaltblütigen Monstrum wie ihm etwas Derartiges
zuzutrauen.
    Er bemerkte meinen Blick,
taxierte mich und nickte dann.