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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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ist ihr nicht recht, aber was er beruflich macht, das will sie wissen. Typisch!
    »Irgendwas mit Glas«, sagte ich. »Sein Vater hat eine Fensterglasfabrik.«
    »Die Jugend von heute scheint nicht mehr zu wissen, dass jeder Mensch auch einen Nachnamen hat. Callums Familiennamen hast du mir auch nie verraten.«
    »Er hatte keinen. Er hatte einen Hund.« Sie guckte ganz merkwürdig – so wie man Leute anguckt, die Selbstgespräche führen oder grundlos lachen. Ehe sie fragen konnte, was ich gemeint hatte, ließ ich mir schnell was einfallen: »Stuart heißt Chumley-Burns.«
    Aber ich habe jetzt andere Sorgen, vor allem die, wie ich an Ivor Tesham herankomme. Ihn anzurufen und zu mir einzuladen hat beim letzten Mal geklappt, aber das ist vier Jahre her. Inzwischen hatte er keine Rückschläge zu verkraften, im Gegenteil, er ist die Karriereleiter stetig nach oben geklettert oder von Sieg zu Sieg geeilt, wie Mummy sagen würde. Solange Mummy hier ist, kann ich ihn nicht in meine Wohnung einladen – abgesehen davon, dass er sowieso nicht kommen würde –, und Hoffnungen, sein Haus zu betreten, brauche ich mir schon gar nicht zu machen. Also bleibt mir nur, ihn anzurufen oder ihm zu schreiben, und ehrlich gesagt (auch das eine von Mummys Redensarten) traue ich mich nicht, ihn anzurufen. Ich habe Angst davor, diese Stimme, diesen Tonfall am Telefon zu hören, immer vorausgesetzt, er meldet sich überhaupt selber und ich hätte seine neue Nummer rausgekriegt. Nein, ich muss irgendwie an seine Privatadresse herankommen und ihm schreiben.
    Aber ich habe eben überhaupt Angst vor ihm. Gutaussehende, weitläufige Männer schüchtern mich ein, das war schon immer so, und Tesham ist der bestaussehende, weitläufigste Mann, dem ich je begegnet bin. Ich schäme mich heute noch, wenn ich daran denke, dass ich geduscht und mir die Haare gewaschen und mich nett angezogen habe, als er herkam, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, das alles nicht zu machen. Als er dachte, ich würde ihm die Perlen geben, hatte ich richtig Spaß an der Sache, aber es war ein kurzes Vergnügen. Hebe hätte gesagt, dass ich sexuelle Gefühle für ihn hege, und vielleicht stimmt das sogar, aber bedeutet das, dass ich gern mit ihm ins Bett gehen würde? Mal angenommen, ich wäre beim Friseur gewesen und toll geschminkt und selber geistreich und weltläufig? Angenommen, ich würde mit ihm im Restaurant sitzen, und seine Fingerspitzen würden über den Tisch ganz leicht an meine rühren? Schluss damit – sonst stelle ich mir noch vor, ich wäre mit ihm in einem Schlafzimmer und hätte Hebes Hundehalsband an, die schwarzen Lederschuhe und ein schwarzes Lederkostüm.
     
    Mummy ist vor zwei Tagen hier aufgekreuzt. Sie hätte sich wahnsinnige Sorgen um mich gemacht, sagt sie, weil ich ihre Briefe nicht beantworte und nur den Anrufbeantworter laufen lasse. Dass ich noch lebe, wüsste sie nur, weil ich die Schecks einlöse, die sie mir schickt. All das hat sie auf den Anrufbeantworter gesprochen. Und als ich zurückrufen und ihr sagen wollte, sie solle doch bitte, bitte nicht kommen, hatte sie auch den Anrufbeantworter eingeschaltet und mich damit, wie sie sagt, in meiner eigenen Schlinge gefangen.
    Als sie mich kurz nach Vaters Tod ein paarmal besucht hat, ging es ihr hauptsächlich um die »Sehenswürdigkeiten«. Sie hat ihr ganzes Leben in London verbracht und kannte die Stadt trotzdem nicht. Denn Ongar und Theydon Bois und Havering sind eben nicht London. Aber was dann? Niemandsland, Vororte im weitesten Sinn, Pampa. Jedenfalls hat sie da ihr ganzes Leben verbracht, und London bedeutete für sie In-die-Stadt-fahren und Shopping auf der Oxford Street. Bis ich mit ihr hingegangen bin, war sie noch nie im Tower gewesen oder in der National Gallery oder im Hyde Park. Vor sechs oder sieben Jahren war es noch kein Problem, sich ins Auto zu setzen, um dieses oder jenes zu besichtigen – schön, ich hatte damals schon meine Probleme damit aber bei dem Verkehr heutzutage ist das undenkbar. Trotzdem will sie alles sehen. Sagt sie. Ich glaube, die Fahrerei mit Bus und U-Bahn ist als Therapie für mich gedacht, damit ich mal raus und unter die Leute komme, wie es so schön heißt.
    Sie ist hier, um mich ein bisschen auf Trab zu bringen. Du kommst mir vor wie eine alte Frau, die nur noch herumsitzt und ihre Rente verzehrt, sagt sie, eine Frau, die älter und unbeweglicher ist als ich. Dabei weiß sie gar nicht, wie es ist, eine Rente zu verzehren, weil sie ja nie

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