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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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gearbeitet hat. Sie will mindestens eine Woche bleiben. Jeden Abend lädt sie mich beim Italiener oder Chinesen zum Essen ein, damit spart sie mir Geld, sagt sie, und wir können uns bei einem Glas Wein »aussprechen«. Wir müssen in einem Bett schlafen, es geht nicht anders. Zum Glück ist es ein breites Bett, und sie schläft fest, während ich wach liege oder träume, dass Sean Lynch mit seinem Deutschen Schäferhund ins Schlafzimmer kommt. Über Schnarchen und Herumwälzen kann ich mich bei Mummy nicht beklagen, aber sie muss mindestens einmal in der Nacht auf die Toilette, das ist wohl in ihrem Alter normal. Mich ärgert nur, dass sie glaubt, ich merke es nicht, wenn sie in der Wohnung herumschleicht, und wenn ich sie darauf anspreche, sagt sie, ich hätte geschlafen »wie ein Bär«.
    Wenn wir miteinander reden – für meinen Geschmack viel zu oft –, geht es immer um meine Situation und wie man sie ändern könnte. »Am besten«, sagt sie, »kommst du auf Dauer nach Ongar, wohnst bei mir, bis die separate Wohnung fertig ist, und suchst dir einen netten kleinen Job am Ort.«
    Sie holt kurz Luft, dann geht es weiter. »Ich bin ja seit jeher der Meinung, dass man mit dem vorliebnehmen muss, was man hat, Jane. Hochfliegende Träume führen zu gar nichts. Früher hat es mich geärgert, dass du bei deiner guten Ausbildung untergeordnete Tätigkeiten verrichtest, aber inzwischen stehe ich fest auf dem Boden der Tatsachen. In einem Geschäft zu bedienen ist keine Schande, es ist ehrliche Arbeit.«
    Weil ich sie nicht anschreien will, sage ich nichts.
    »Alles ist besser, als von der Fürsorge zu leben.« Dass diesen Ausdruck seit Jahren kein Mensch mehr benutzt, weiß sie nicht. »In meiner Jugend wäre man lieber verhungert, als sich vom Staat unterstützen zu lassen.« Was glaubt sie wohl, woher der Staat das Geld kriegt? Weiß sie nicht, für was wir Steuern zahlen?
    Sie redet, als wenn sie hundert wäre und es noch Arbeitshäuser gäbe, dabei ist sie erst knapp über sechzig. Aber als sie das vom Staat sagt, muss ich grinsen, denn genau das habe ich vor: mich vom Staat, von der Regierung – oder vielmehr von einem ganz bestimmten Mitglied der Regierung – unterstützen zu lassen. Während sie weiter von einer Stelle als Verkäuferin in Ongar schwafelt, als Haushaltshilfe (Erfahrung hast du ja weiß Gott genug, Jane!) oder als Politesse, denke ich über den Brief nach, den ich an Ivor Tesham schreiben werde, einen sehr diskreten, bis ins Letzte ausgefeilten Brief, in dem ich Beziehungen und Verbindungen andeuten, mal eben Lloyd Freeman erwähnen und Hebes Namen einflechten werde. Ich werde ihm vorschlagen, dass wir uns treffen, um über alte Zeiten zu reden, aber vorher werde ich noch den Namen eines berühmten Journalisten ins Spiel bringen, der Skandalgeschichten über bekannte Leute ausgräbt. Ich werde schreiben, dass ich ihn kenne. Stimmt natürlich nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich zwinge mich, nur an die notwendigen Schritte zu denken und nicht an meine Gefühle und Ängste.
    Mummy redet über die Wohnung, die sie plant. Ich soll ein Schlafzimmer bekommen, ein Wohnzimmer, Küche und Bad. Das Haus hat drei Geschosse, das oberste ist kleiner als die unteren beiden, »bestens geeignet für einen Umbau«. Der kleine Treppenabsatz wird meine Diele, oben braucht nur eine Wohnungstür eingebaut zu werden.
    »Hörst du zu, Jane?«
    Ja, natürlich, sage ich. In Wirklichkeit überlege ich, in welchem Haus der Glanvill Street Tesham wohl wohnt. Ich könnte mit Mummy zum Parlament und zum Big Ben fahren und sagen, ich hätte keine Lust, zur Besichtigung Schlange zu stehen, würde lieber mit ihr ein Stück durch die Straßen hinter Millbank schlendern und vielleicht die St. John’s Church angucken, die auch Queen Anne’s Footstool heißt, weil sie mit ihren vier Türmen aussieht wie ein Fußschemel, der auf dem Rücken liegt und die Beine gen Himmel streckt. Ich bilde mir ein, dass man an irgendeinem Hinweis am oder vor dem Haus erkennen müsste, dass er da wohnt. Seinen Wagen kenne ich vom Foto her, aber das ist vier Jahre alt, kann sein, dass er jetzt einen anderen hat. Vielleicht zeigen sich Tesham oder diese Carmen an einem Fenster. Hoffentlich ist es keine sehr lange Straße, sonst brauchen wir den ganzen Tag dazu. »Wir« dürfte ich eigentlich gar nicht sagen, denn Mummy weiß nichts von der Sache und soll auch nichts davon wissen.
    »Dass dieser Stuart sich nicht meldet«, wundert sie

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