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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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»Keine Bange, Ivor. Du hast auch so genug am Hals. Mit der blöden Kuh werd ich schon fertig. Hab nur gedacht, dass es nicht richtig wär, es dir zu verschweigen.«
    Seans Beschreibung war nicht eindeutig. Ivor musste nachhaken. »Du weißt nicht, wer sie war?«
    »Vom Sozialamt war sie jedenfalls nicht. Lassen wir’s dabei.«
    »Es war Jane Atherton«, sagte Ivor zu mir. »Sean wollte es mir nur nicht sagen.«
    Er war nervös geworden. Vielleicht waren die guten Zeiten, die ruhigen Monate, ja Jahre vorbei. Es war zu Zwischenfällen gekommen, relativ unbedeutenden Zwischenfällen, aber sie summierten sich, und womöglich würde der nächste nicht mehr so unbedeutend sein. Doch die Zeit verging, und er hörte nichts mehr von Sean, nichts von Jane Atherton oder Beryl Palmer. Diese Turbulenzen hatten sich also offenbar gelegt. Dafür näherte sich ein viel gefährlicheres Unwetter.
    Die Veranstaltung, zu der man ihn und Juliet eingeladen hatte, fand in Carlton Gardens statt, es war ein Empfang, auf dem die Marfan Syndrome Society um Spenden warb. Ivor wusste nicht viel über das Marfan-Syndrom und interessierte sich auch nicht sonderlich dafür, im Gegensatz zu Juliet. Ihr verstorbener Vater hatte dieses Leiden gehabt, und auch ihr Bruder war daran erkrankt. Als Halbwüchsige – inzwischen war klar, dass sie die Krankheit nicht hatte – erfuhr sie, dass es sich um eine unter gewissen Umständen erbliche genetische Störung handelte. Das Marfan-Syndrom gehört zu jenen Erbkrankheiten, die ein selbst Erkrankter mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit an seine Nachkommen weitergeben kann, ihr Bruder zeigte bereits Symptome. Juliet erfuhr erst später, dass sie die Krankheit, da sie selbst nicht an ihr litt, nicht weitergeben konnte. Wie Iris und ich ja wussten, wünschte sie sich Kinder und wollte natürlich (falls sie kamen, falls Ivor es zuließ), dass es gesunde Kinder waren. Sie interessierte sich nach wie vor für die Krankheit und mögliche Hilfsmaßnahmen für die Betroffenen, deshalb hatte sie die Einladung angenommen, und Ivor war mitgekommen.
    In den Jahren seit Hebes Tod hatte Ivor, wie er mir sagte, mit Bedacht Veranstaltungen der Herz-und-Lungen-Stiftung gemieden, deren Fundraising-Manager Gerry Furnal war. Ohnehin mied er Wohltätigkeitsveranstaltungen, sofern es ihm nicht politisch geraten schien, sich dort sehen zu lassen – wie etwa in seinem Wahlkreis. Möglich, dass dabei die Angst, Gerry Furnal zu begegnen, eine Rolle spielte. Dass Furnal ausgerechnet in Morningford die Werbetrommel rühren würde, war unwahrscheinlich. Möglich auch, dass Ivor in diesem Fall alle Vorsicht in den Wind geschlagen hätte, wahrscheinlicher aber ist, dass er Staatsgeschäfte vorgeschützt und sich gedrückt hätte.
    Offenbar war Ivor davon ausgegangen, dass Hebes Mann noch dieselbe Stellung bekleidete wie vor deren Tod. Ob Furnal tatsächlich noch dort war, hätte er mühelos in Erfahrung bringen können, aber nur ein Feigling, fand er, hätte (und sei es unter der Hand) Nachforschungen angestellt, und ihm war es immer sehr wichtig, sich und anderen ein positives Bild von sich zu vermitteln. Zusammen mit Juliet traf er eine halbe Stunde nach Beginn des Empfangs ein und hoffte, sie würden nicht lange bleiben müssen, weil sie abends noch zum Essen verabredet waren. Für die Größe des Raumes waren entschieden zu viele Gäste da, man konnte sich kaum bewegen. Ein ihnen unbekannter Mann trat ans Rednerpult, stellte sich als Vorsitzender des Vereins vor und führte den Hauptredner ein. Es war Gerry Furnal.
    Ivor hatte ihn schon geschäftig hin und her laufen und auf dem Podium mit dem Mikro hantieren sehen, hatte ihn aber nicht erkannt. Er muss ihn seinerzeit bei dem Empfang im Jubilee Room gesehen haben, als er Hebe kennengelernt hatte, aber da hatte er begreiflicherweise kaum Notiz von ihm genommen. Hätte ihn in Carlton Gardens nicht »dieser andere Gutmensch« (Ivors Worte) vorgestellt, hätte er Furnal nicht wiedererkannt. Als der Name des Mannes fiel, flüsterte er Juliet zu: »Weißt du, wer das ist?«
    Sie schüttelte den Kopf. Offenbar hatte sie vergessen, wie Hebe mit Nachnamen hieß.
    »Hebes Ehemann«, sagte Ivor.
    »Ach je. Ist dir das peinlich?«
    Ivor schätzt es nicht, wenn ihm jemand unterstellt, etwas sei ihm peinlich. Einem englischen Gentleman passiert so etwas nicht, es impliziert Schwäche, genau wie die Frage, ob man schüchtern ist oder ungern vor Publikum spricht. Ivor wollte als jemand

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