Das Geburtstagsgeschenk
unverletzt, aber wohl nur, weil sie dem Räuber freiwillig ihre Handtasche überlassen hat, und mein erster Gedanke ist: Sean Lynch!
»Ein Kerl in schwarzem Leder? Untersetzt, breitschultrig, langes schmutzig gelbes Haar?«
Sie packt mich am Arm. »Kennst du so einen Mann? Sag schon, Jane! So antworte doch!«
Ich sage ihr, wie er heißt und wo er wohnt, und hätte auch das Übrige noch rausgelassen, wenn sie nicht dazwischengeredet hätte. »Es war kein Mann, sondern ein Junge. Höchstens sechzehn.«
Sie macht mich rasend mit ihrer Dummheit. Am liebsten würde ich auf sie einprügeln, ihr das Gesicht zerkratzen wie damals Pandora. Aber ich drehe ihr nur den Rücken, während sie erzählt, dass sie auf einem Polizeirevier war und dort gemeldet hat, was passiert ist. Sie haben die Einzelheiten notiert und wollen im Laufe des Tages einen Beamten herschicken. Aber erwischen werden sie den Kerl bestimmt nicht. Hundert Pfund waren in der Handtasche. Hätte sie nur mir das Geld gegeben, ehe sie aus dem Haus gegangen ist! Auch ihre Visa-Karte war drin – ich wusste gar nicht, dass sie eine hat –, und ich soll dort anrufen und sie sperren und eine neue ausstellen lassen, sie weiß nicht, wie man das macht. Kann ein Sechzehnjähriger sich einen Haufen teure Sachen kaufen und ihr Konto leer räumen? Nicht, wenn wir uns beeilen, sage ich und hänge mich ans Telefon.
In London wird sie nie wieder allein einen Fuß auf die Straße setzen, sagt sie. Wie man in einer so gefährlichen Welt leben kann, ist ihr schleierhaft. Ich soll sie begleiten, wenn sie sich eine neue Handtasche kauft, die Tasche, die der Typ ihr gestohlen hat, war nämlich die einzige, die sie hatte. Dann fallen ihr die Schlüssel ein, die sind ja auch weg, und sie muss die dicke Nachbarin anrufen, die hat einen Zweitschlüssel. Ob der Junge, der jetzt ihre Tasche hat, mit den Schlüsseln für Haus- und Hintertür ihr Haus in Ongar ausräumen könnte?
»Nur, wenn in der Handtasche irgendwo auch deine Adresse war.«
»Mal überlegen …“ Dann fällt ihr der Brief ihrer alten Schulfreundin aus Schottland ein – den hatte sie mit, samt Umschlag.
»Du wirst die Schlösser austauschen müssen«, sage ich und hoffe, dass sie jetzt ganz schnell zurück nach Ongar fährt.
Aber der Umschlag, auf dem ihre Adresse steht, erinnert mich an meine Gasrechnung, die Stu hat mitgehen lassen. Allerdings weiß er ja, wo ich wohne, also wollte er wohl etwas haben, was mir gehört. In mich hat sich noch keiner verliebt, warum nicht er? Es gibt immer ein erstes Mal. Jetzt tut es mir fast leid, dass ich ihm einen Korb gegeben habe, als er mich gefragt hat, ob ich mit ihm einen trinken gehen will. Schön ist er nicht, aber das kann man von mir schließlich auch nicht behaupten. Ich habe mir immer eingebildet, was Besseres zu sein als er und seinesgleichen, wegen meiner Erziehung und meiner Redeweise, weil ich studiert habe und er mit sechzehn von der Schule abgegangen ist. Aber wenn ich das mache, was Mummy will, und mir einen Job als Verkäuferin suche, ist der Abstand zu einem Fensterputzer am Ende nicht mehr allzu groß.
Nur werde ich nicht machen, was sie will. Ich werde hierbleiben und an Ivor Tesham schreiben und mir ein Einkommen verschaffen, von dem ich angenehm leben kann. Mir ist plötzlich etwas eingefallen, woran ich seit Jahren nicht mehr gedacht habe. Hebe war erst ein paar Monate verheiratet, da war sie mal in der Irving Road allein, als ein Elektriker kam, um irgendwas zu reparieren. Sie war scharf auf ihn, und er war scharf auf sie – alle Männer waren scharf auf Hebe –, da ist sie mit ihm ins Bett gegangen. Das heißt, sie haben es miteinander gemacht, aber eher nicht im Bett. Und deshalb sage ich mir, dass es gar nicht so abwegig wäre, wenn ich mich mit Stu zusammentun würde. Zumindest bin ich nicht verheiratet. Vielleicht kommt mein Kopf wieder in Ordnung, wenn ich einen Mann habe, dann hätte ich vielleicht nicht diese Träume und würde nicht Sachen sagen, bei denen die Leute mich komisch ansehen.
Dann kommt der Polizeibeamte. Es ist schon ziemlich spät, und ich bin gerade dabei, uns was zum Abendessen zu machen, weil Mummy um keinen Preis mehr aus dem Haus gehen will. Er wiederholt, was sie schon auf dem Revier gesagt haben, dass nicht viel Aussicht besteht, den Dieb zu schnappen, und fügt hinzu, dass wir dankbar sein müssen, dass Mrs. Atherton nicht verletzt wurde. Sie erzählt ihm von dem Brief ihrer Freundin aus Schottland. Wenn das so
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