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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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sehr nett zu ihm sein und ihn fragen, ob sein Angebot noch gilt, einen mit mir trinken zu gehen. Er wird ja sagen, und dann sind wir ein Paar. Während ich so über all das nachdenke, wird mir noch besser, und ich frage mich, wie es sein wird, einen Mann für mich zu haben. Bestimmt ganz anders als bisher.
    Ich würde am liebsten heute gar nicht aus dem Haus gehen, aber ich muss Mummy zum U-Bahnhof West Hampstead bringen. Nicht nach Kilburn, denn das ist eine ziemlich üble Gegend, und solche Gegenden verbinde ich mit Sean Lynch. Mummy und ich umarmen und küssen uns vor dem U-Bahn-Eingang, was wir seit Jahren nicht mehr gemacht haben, und sie sagt, wir müssen jeden Tag in Verbindung bleiben, und sie erwartet mich in spätestens einer Woche in Ongar.
    Allein nach Hause zu gehen war ganz schön unheimlich. Am Sonntagvormittag ist es überall sehr ruhig, und leere Straßen machen einen nervöser als belebte. Ich hörte Schritte hinter mir und ging auf die andere Straßenseite, aber als ich mich umdrehte, war es ein alter Mann mit Hut und Regenschirm. Trotzdem war ich froh, als ich in meiner Wohnung angekommen war. Allein zu sein ist auch wieder schön.
    Aber mein Problem ist noch nicht gelöst. Ich hatte mir meine Annäherung an Ivor Tesham so ähnlich wie eine Bewerbung vorgestellt: Erst das Bewerbungsschreiben, dann das Vorstellungsgespräch, dann die Aufnahme in die Belegschaft, eine Belegschaft, zu der vielleicht auch die Lynchs gehören und sogar diese Carmen, die davor die Freundin von Lloyd Freeman gewesen war. Jetzt musste ich über den »Job« neu nachdenken. Ich wollte ihn immer noch haben, ganz klar, ich musste ihn haben, er war meine einzige Hoffnung, aber ich musste es anders anstellen, damit mich nicht einer aus der Belegschaft fertigmacht.
    Eins ist klar: Heute kann ich meinen Brief nicht schreiben. Ich muss warten, bis in meinem Privatleben alles klar ist, bis ich weiß, dass ich nicht mehr allein bin. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass eins und eins nicht zwei, sondern zweitausend mal zwei ist und deshalb die Welt immer auf die Monogamie zurückkommen wird. Denn am besten lebt es sich in einer Partnerschaft – zum eigenen Schutz und damit man Gesellschaft hat. Ich überlege, ob man durchdrehen kann, wenn es jemanden gibt, der für einen da ist. Wahrscheinlich nicht.
    Solange Mummy da war, hatte ich – Macht der Gewohnheit! – das Tagebuch in dem Schuhkarton unter dem Dielenbrett versteckt. Ich überlegte, auch Hebes Sachen da unterzubringen, aber sollen sie ruhig im Schrank bleiben, in dem Koffer, den ich extra dafür gekauft habe.
    Abends stehe ich lange vor dem Spiegel, sehe mich an und glaube jetzt zu wissen, warum sich Stu in mich verliebt hat. Solange Mummy hier war, konnte ich Hebes Sachen nicht rausholen, aber jetzt ziehe ich die schwarze Unterwäsche und die Stiefel an und lege das Hundehalsband um. Wenn ich mir vorstelle, dass Stu mich so sieht, kommt wieder diese Aufregung über mich, aber gleichzeitig auch ein Gefühl von Ruhe und Frieden, so wie es uns der Polizist versprochen hat.

26
    Auf dem Weg zum U-Bahnhof Mansion House kaufte ich den Evening Standard, warf aber nur einen flüchtigen Blick auf die Schlagzeile. Schon wieder ein Mord, diesmal an einer Frau in Kilburn. Ich ergatterte einen Sitzplatz und fand mich neben einem Bekannten aus der City wieder, mit dem ich mich unterhielt, bis er an der Station Temple ausstieg. Ivor, den ich seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen hatte, hatte in meinem Büro angerufen und eine Nachricht hinterlassen, eine dieser nichtssagenden Nachrichten, bei denen eine gewisse Dringlichkeit mitschwingt. Mit Ivor etwas zu trinken oder gelegentlich Ivor beim Trinken zuzusehen war für mich gang und gäbe, aber diesmal beschlich mich leises Unbehagen. Ich stieg in Westminster aus und ließ den Standard, der mir eine Erklärung für meine unbestimmte Angst hätte liefern können, auf dem Platz neben mir liegen.
    Ivor nahm mich mit in den Pugin Room, der immer überfüllt ist und eigentlich zum Oberhaus gehört, so dass die Peers behaupten, das Unterhaus habe ihn vor hundert Jahren gestohlen und weigere sich, ihn zurückzugeben. Ivor ließ sich einen Tisch ganz hinten mit Blick auf den Fluss geben, obwohl er immer so tat, als sei ihm die Aussicht ganz gleichgültig. Recht hübsch, pflegte er zu sagen, wenn man gern auf das St. Thomas Hospital sieht, in das die Parlamentarier zum Sterben gehen. Der Fluss strömte schnell dahin, schwarz glitzernd und unruhig.

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