Das Geburtstagsgeschenk
es kam auf die richtigen Worte an, und alles, was mir einfiel, klang unheimlich grob und ordinär. Hebe hätte so schreiben können. Ich konnte es nicht. Und doch hing meine ganze Zukunft davon ab. Von ihm oder von Stu. Oder von beiden. Ich sehne mich zur Abwechslung auch mal nach schönen Träumen, und jetzt hatte ich einen, einen Wachtraum, in dem ich mit Stu zusammen bin und ihm sage, dass ich über privates Vermögen verfüge. Wenn er nicht will, braucht er nie wieder Fenster zu putzen.
Eine Weile hatte ich mich in diesen Traum verloren und nur hin und wieder einen Blick auf Mummy geworfen, aber die schlief fest. Jetzt habe ich wieder angefangen. Mein Briefpapier und Umschläge und zwei Kugelschreiber liegen unter den Rechnungen und Quittungen. Ich wollte gerade einen Bogen und einen Kugelschreiber rausholen, als mir der Tag einfiel, an dem ich zu den Lynchs gegangen war, und die ganze Szene zog vor meinem inneren Auge vorbei, so wie man es angeblich erlebt, ehe man ertrinkt. Ich war tatsächlich am Ertrinken, denn ich weiß jetzt, wo meine Gasrechnung geblieben ist. Stu hat sie nicht mitgehen lassen. War sowieso eine blödsinnige Idee, ich bin wohl wirklich nicht mehr ganz richtig im Kopf.
Ich hatte die Rechnung und die Blätter, die sie immer mitschicken, in meine Handtasche gesteckt, als ich zum Williams Cross Court ging. Dann hatte ich, als ich so tat, als käme ich vom Sozialamt, die Papiere rausgenommen und scheinbar darin gelesen. Sean Lynch hatte mir die Blätter aus der Hand gerissen und auf den Fußboden gepfeffert, vielleicht hatte er sie gar nicht angesehen, vielleicht sind sie im Mülleimer gelandet. Aber das glaube ich nicht. Er hat sie sich bestimmt angesehen, und jetzt kennt er meinen Namen und meine Adresse. Ich komme mir vor wie bei einem dieser anonymen Telefonanrufe, wo der Anrufer sagt: »Wir wissen, wo Sie wohnen.« Sean Lynch wusste, wo ich wohnte.
Mein Tagebuch weiterschreiben konnte ich, aber den Brief kriegte ich nicht zustande. Nachdem ich auf das leere Blatt gestarrt hatte, wie man das von Schriftstellern liest, die eine Schreibblockade haben, ging ich ans Fenster und sah hinaus. Ich rechnete fest damit, dass Sean Lynch unter der Straßenlaterne stand und das oberste Stockwerk beobachtete. Da unten war kein Mensch, aber das hieß noch nicht, dass er nicht da gewesen war. Sollte ich zur Polizei gehen? Hätte ich das mit der Gasrechnung früher durchschaut, hätte ich dem Beamten, der bei uns war, was gesagt. Dann wäre Sean Lynch jetzt vielleicht schon hinter Schloss und Riegel und könnte nicht frei herumlaufen und überlegen, wie er in meine Wohnung kommt.
Man sollte denken, dass er Tesham hasst, nachdem er Dermot zu dem gemacht hat, was er jetzt ist, aber den Eindruck habe ich nicht. Seine Mutter hasst ihn jedenfalls nicht. »Mr. Tesham war sehr gut zu uns«, hat sie gesagt. Bestimmt gibt Tesham ihnen Geld. Ist Sean über mich hergefallen, weil er mich als Teshams Feindin sieht? Weil er ihn schützen will? Und was würde mir blühen, wenn ich Tesham den Brief schreibe und er Sean davon erzählt? Und noch was fällt mir ein: Sean brauchte die Gasrechnung gar nicht, Tesham hätte ihm sagen können, wo ich wohne.
Ich weiß nicht, was ich machen soll. Im Augenblick konnte ich mich nur wieder ins Bett legen, auch wenn ich sicher war, dass ich kein Auge zutun würde. Aber ich schlief dann doch ein und träumte, dass ich wieder in William Cross Court war, Sean hatte meinen Namen und meine Adresse auf der Gasrechnung gelesen, und ich schlotterte vor Angst. Er packte mich – wie immer, in jedem Traum – und stieß mich an die Wand, so dass mein Kopf an das blutende Herz des Heilands schlug. Ich sehe ihm an, dass er mich vergewaltigen will, und schreie. Ich habe tatsächlich laut geschrien und damit Mummy geweckt, die hochgefahren ist, Licht gemacht, mein nasses Nachthemd befühlt und meine zitternden Hände festgehalten hat.
»Sobald du in Ongar bist«, sagt sie, »schicke ich dich zu meiner entzückenden Ärztin.«
Morgens ging es mir besser, aber was ich machen soll, weiß ich immer noch nicht. Ich brauche jemanden, der mich beschützt, und überlege, ob Stu das übernehmen würde. Wenn ich ihn zum Freund hätte, würde er für mich sorgen, und wenn ich ihm sagen würde, dass ein Mann mir etwas antun will, würde er ihm zuvorkommen, und die Sache wäre ruck, zuck erledigt. Die Menschen aus dieser Schicht denken so. Wenn ich ihn wiedersehe – morgen nämlich –, werde ich
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