Das Geburtstagsgeschenk
Er ging wieder nach oben, legte seine Oberbekleidung ab und zog einen Morgenrock an, den er in meinem Kleiderschrank gefunden hatte. Eine Vorgängerin von Iris hatte ihn mir geschenkt, aber ich hatte ihn nie angehabt und nur behalten, weil er Iris gefiel und sie sagte, sie hätte gute Lust, ihn selbst zu tragen, wozu es aber nie gekommen ist. Er war aus schwarzer Seide mit einem chinesischen Muster und einer goldenen Schärpe. Ivor sagte, er sei sich vorgekommen wie in einer Salonkomödie von Noel Coward. Er bewunderte sich ein paar Minuten im Spiegel, aber auch jetzt zeigte die gläserne Wanduhr erst fünf vor halb acht.
Weil es in allen Zeitungen stand, musste er mir wohl oder übel sagen, dass auf seine Anweisung hin Dermot und Lloyd Hebe Handschellen angelegt, ihr die Fußgelenke gefesselt und ihr ein Tuch über den Mund gebunden hatten. Er erzählte das ganz unbefangen, als sei es völlig normal. Ich sagte nichts dazu, machte mir aber so meine Gedanken über die absonderlichen Neigungen mancher Menschen im Allgemeinen und dieses Mannes im Besonderen, der mein Schwager war und sich an Dingen vergnügte und erregte, die mich kaltlassen würden.
Als er vor dem Spiegel stand, erzählte er weiter, mussten die beiden nach seiner Berechnung schon auf dem Watford Way gewesen sein, einer belebten Durchgangsstraße, an der auch Wohnhäuser standen. Sie waren von der Straße zurückgesetzt und durch ihre Vorgärten, eine Zubringerstraße und einen baumbestandenen Rasenstreifen von ihr getrennt. Dermot, der am Steuer saß, würde von der Hauptstraße auf die Zufahrtsstraße abbiegen und konnte dort parken, während sie Hebe fesselten. Ivor ging davon aus, dass sie sich nicht sehr wehren würde, denn sie wusste zwar nicht, was sie erwartete, wohl aber, dass das Ganze letztlich zu ihrem Vergnügen veranstaltet wurde.
Ivor wartete weiter. Er hat nie erfahren – und vermutlich hat es außer Dermot und Lloyd auch sonst niemand gewusst –, ob Hebe pünktlich war. Es gab eine Zeugin der vorgetäuschten Entführung, eine gewisse June Hemsley, die in einem der Häuser hinter dem Rasenstreifen, dem Zufahrtsweg und ihrem Vorgarten am Watford Way wohnte. Sie hatte im Vorderzimmer am Fenster gestanden und nach ihrem Sohn Ausschau gehalten, den sie um sieben von seiner Geigenstunde zurückerwartete. Seit sieben stand sie am Fenster, es seien so an die zehn Minuten gewesen, sagte sie der Polizei (eine nicht sehr zuverlässige Angabe, man sagt das so dahin, wenn man eine kurze Zeit meint), als sie sah, wie zwei mit Skimasken getarnte Männer aus einem Auto stiegen, eine Frau ansprachen, die in südlicher Richtung den Watford Way entlangging, und sie in den Wagen verfrachteten. Die Frau leistete kaum Widerstand, und der Wagen fuhr nicht gleich wieder los, aber als etwa fünf Minuten danach Mrs. Hemsleys Sohn kam, war er weg. Nachdem sie die Sorge um den Jungen aus dem Kopf hatte, überlegte sie hin und her, ob sie die Polizei verständigen sollte. Sie sah noch einmal aus dem Fenster, aber der Wagen war weit und breit nicht mehr zu sehen, und die Nummer hatte sie sich nicht notiert. Trotzdem rief sie dann um sieben Uhr fünfunddreißig bei der Polizei an.
Um diese Zeit wurde Ivor langsam unruhig. In dem Leihwagen war ein Autotelefon, und er selbst besaß ein Handy, schwer und groß wie ein Backstein – damals gab es bei weitem noch nicht so viele Mobiltelefone wie jetzt –, und Dermot und Lloyd hatten unsere Telefonnummer und wussten, dass sie ihn anzurufen hatten, falls es Probleme gab. Ivor trat vors Haus und sah rechts und links die Straße herunter, obwohl der oder die Erwartete deswegen auch nicht schneller erscheint. Weil er dachte, das Telefon könne läuten, während er draußen war, ging er wieder ins Haus, und als er ins Wohnzimmer kam, läutete es tatsächlich, aber es war nicht Dermot oder Lloyd, sondern eine unserer Bekannten, die uns sagen wollte, sie könne zu einem Abendessen, zu dem wir eingeladen hatten, leider nicht kommen. Inzwischen war es zehn vor acht.
Selbst bei starkem Verkehr waren fünfzig oder auch nur fünfundvierzig Minuten (falls Hebe nicht rechtzeitig gekommen war) vom Watford Way nach Hampstead eine reichlich lange Zeit. Irgendwas war schiefgelaufen. Hebe war nicht gekommen. Oder Gerry Furnal hatte sich verspätet oder war im Büro aufgehalten worden. Oder das Kind war plötzlich krank geworden. Aber warum hatten dann Lloyd oder Dermot nicht angerufen? Nie im Leben hätte Ivor sich träumen lassen,
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