Das Geburtstagsgeschenk
ablegte. Die Schlagzeile auf der ersten Seite lautete »Horror-Crash verhindert Kidnapversuch«, und das dazugehörige Foto, an dem mein Blick hängen blieb, war eins dieser Katastrophenbilder, auf denen man nichts wirklich erkennen kann. Erst wenn man genau hinschaut, sieht man etwas, was ein kaputter Scheinwerfer und vielleicht ein Reifen zwischen verbeultem Blech sein könnte. Ich fuhr zurück zum Cottage und legte die Zeitung auf den Küchentisch, an dem Iris saß. Sie hatte Nadine auf dem Schoß und aß Toast mit Orangenmarmelade.
Manche Leute blättern die Zeitung rasch durch und lesen nur das, was sie interessiert, andere lassen sich Zeit und hängen sich an jedes Wort. Ich gehöre zur ersten Gruppe, halte mich allerdings etwas länger bei Wirtschaft und Finanzen auf, während Iris eine sehr gründliche Zeitungsleserin ist.
Ich selbst hätte wahrscheinlich die Story, in der über eine Entführung und einen Autounfall berichtet wurde, gar nicht gelesen, wir wären wie gewöhnlich spazieren gegangen, hätten später Nachbarn auf einen Drink eingeladen und wären am nächsten Tag in seliger Unwissenheit nach Hause gefahren. Iris las und las. Als sie das Ende der Seite erreicht hatte, sagte sie: »Nimm du sie mal, Rob«, gab mir Nadine und blätterte weiter. Ihr Gesichtsausdruck war sehr ernst, ja betroffen.
»Was ist?«, fragte ich. »Was hast du denn?«
Sie reichte mir das Blatt, aufgeschlagen auf Seite drei. Ich sah das Foto einer sehr hübschen Frau mit langem blondem Haar.
»Ivors Freundin heißt Hebe Furnal, nicht?«
»Ja. Warum fragst du?«
»Dann ist sie das. Sie ist tot. Zwei Männer haben versucht, sie zu entführen, aber der Wagen ist mit einem anderen kollidiert, und einer der Männer ist auch tot. Es ist unglaublich. Lies selbst.«
Als Ivor uns erzählte, was sich an jenem Freitag, dem 18. Mai, zugetragen hatte, stand er noch unter Schock, war aber leidlich ruhig. An Freitagen kommt das Unterhaus nur selten zusammen, an jenem Freitag waren keine Meetings angesetzt. Deshalb hatte er das Geburtstagsgeschenk auf diesen Tag gelegt. Sobald Gerry Furnal nach Ivors Berechnung seine lange Bus- und U-Bahn-Fahrt ins Büro angetreten haben musste, rief Ivor wie gewöhnlich bei Hebe an, und sie hatten ihren Telefonsex, begleitet von Justins lautstarken Protesten im Hintergrund. Zum Lunch war Ivor in der türkischen Botschaft, um irgendetwas, einen Vertrag oder einen diplomatischen Erfolg, zu feiern, und kam gegen halb vier zurück in seine Wohnung. Er hatte sich dagegen entschieden, mit dem eigenen Wagen nach Hampstead zu fahren, denn schon damals fand man dort keine Parkplätze, außerdem nahm er an, dass er wahrscheinlich reichlich Alkohol konsumieren würde, also bestellte er sich für halb sieben ein Taxi. Ein großes schwarzes Taxi, nicht eins von Lloyd Freemans Minicabs. Eine halbe Stunde, ehe das Taxi fällig war, ging er aus dem Haus und kaufte eine Flasche Champagner und dann – weil ihm Zweifel gekommen waren, ob die reichen würde – noch eine zweite. Das Geld, das er in Fünfzigpfundscheinen von der Bank geholt hatte, verteilte er auf zwei Briefumschläge, auf den einen schrieb er »Dermot«, auf den anderen »Lloyd«.
Kurz nach sieben betrat er unser Haus. Um sieben sollte Hebe – so hatte er es ihr gesagt – in südlicher Richtung den Watford Way entlanggehen, dort würden Lloyd Freeman und Dermot Lynch sie packen, in den Wagen setzen und in unserem Haus ins Schlafzimmer tragen. Ivor hatte sich ausgerechnet, dass sie – selbst unter Berücksichtigung des dichten Freitagabendverkehrs – spätestens um Viertel vor acht da sein müssten. Er legte den Champagner in den Kühlschrank und die beiden Umschläge auf den Dielentisch und ging nach oben, um sich dort noch einmal umzusehen. Eine der vielen Scheußlichkeiten in unserem Schlafzimmer war eine sehr große, kreisrunde Wanduhr aus Mattglas mit verchromten Zeigern. Auf dieser Uhr war es zehn nach sieben.
All das erzählte er mir vermutlich so ausführlich, um deutlich zu machen, wie sehr das Warten an seinen Nerven zerrte. Um zehn nach sieben belastete es ihn allerdings noch nicht allzu sehr, aber er fragte sich doch, warum er eigentlich so früh gekommen war. Er ließ in Gedanken seinen Plan noch einmal ablaufen, und dabei fiel ihm etwas ein, was er noch nicht berücksichtigt hatte. Hebe würde zweifellos in passender (für einen normalen gesellschaftlichen Anlass also entschieden unpassender) Kleidung kommen, aber was war mit ihm?
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