Das Geburtstagsgeschenk
was tatsächlich passiert war. Er sorgte sich nicht, er ärgerte sich und steigerte sich allmählich in eine regelrechte Wut hinein, und fünf vor acht genehmigte er sich einen großen Gin mit einem kleinen Schuss Tonic. Den Champagner wollte er nicht aufmachen für den Fall, dass ein Wunder geschah und Hebe doch noch auftauchte.
War es denkbar, dass Dermot und Lloyd ihn reingelegt und sich gar nicht an der vereinbarten Stelle eingefunden hatten? Nach dem Treffen in dem Pub in Victoria hatten sich die beiden mindestens noch einmal gesehen, Ivor selbst hatte ihnen vorgeschlagen, sie sollten sich ein paar Tage später wieder treffen, um das Anmieten des Wagens, den Kauf der Handschellen, des Knebels und der Skimasken zu besprechen, und sie hatten vor seinen Augen ihre Telefonnummern ausgetauscht. Vielleicht hatten sie verabredet, die erste Rate von zweihundertfünfzig Pfund einzusacken, ohne etwas dafür zu tun, und in dem Fall wäre er, Ivor, machtlos.
Am liebsten hätte er Lloyd oder Dermot in ihrem Wagen angerufen, aber er kannte die Nummer nicht, außerdem war er zu wütend. Er wartete bis halb neun, dann wollte er gehen, gab aber dann noch eine halbe Stunde drauf. Um neun zog er sich wieder an und ging endgültig. Die beiden Umschläge nahm er mit, den Champagner vergaß er. Zu Hause hörte er weder Radio, noch machte er den Fernseher an. Dort hätte er grausige Bilder von einem schweren Unfall sehen können, von einer Entführung aber war an jenem Abend noch nicht die Rede.
In dem Artikel, den Iris und ich lasen, hieß es, die Polizei gehe von einer versuchten Entführung aus. Das Opfer sei Hebe Furnal, 28, wohnhaft in West London. Die Zeitungen bringen nie genaue Anschriften und oft auch nicht den genauen Ort, an dem sich ein bestimmtes Ereignis oder ein Unfall abgespielt hat. Auch diesmal war nur vage von einer »Kreuzung in Hendon« und einer »Abzweigung in Nordlondon« die Rede. Bis heute weiß ich nicht genau, wo der Unfall sich zugetragen hat. Der Wagen sei mit einem Vierzigtonner zusammengestoßen. Hebe Furnal sei gefesselt und geknebelt gewesen. Die beiden Männer hätten Kapuzenjacken getragen, behauptete die Zeitung. Lloyd Freeman sei ums Leben gekommen, und Dermot Lynch, der Fahrer des Personenwagens, mit einem Gehirntrauma und zahlreichen Verletzungen in kritischem Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Der Lastwagenfahrer in seiner hochgelegenen Kabine sei unverletzt.
Es folgten ein paar biographische Angaben über Hebe, die im Wesentlichen korrekt waren, wenn man davon absah, dass in dem Blatt ihr Sohn Jason hieß, aber keine Spekulationen über den Grund für die Entführung. Die kamen später. Die Reporter mussten bei Gerry Furnal gewesen sein, um das Foto von Hebe zu ergattern. Ein hübsches Foto, keine Atelieraufnahme, sondern ein Schnappschuss, der sie am Strand beim Spielen mit ihrem kleinen Jungen zeigte.
Ich war mit dem Artikel noch nicht fertig, als Iris schon bei Ivor anrief. Es klingelte fünf-, sechsmal, dann schaltete der Apparat auf den Anrufbeantworter. Sie hinterließ keine Nachricht. Was hätte sie auch sagen sollen? Den restlichen Vormittag versuchten wir Ivor zu erreichen, und mittags sagte Iris: »Ich denke, wir fahren besser zurück.«
Wir fuhren nach Hause und dann, ohne uns mit Essen aufzuhalten, gleich weiter in die Old Pye Street. Iris hatte gerade abgestillt, deshalb hatten wir auf einem Rastplatz auf der A12 gehalten, um Nadine eine Flasche zu geben und etwas aus einem Gläschen zuzufüttern, und die Kleine hatte seither zufrieden geschlafen. (Ich weiß – hier geht es eigentlich um Ivor, nicht um mich und meine Tochter. Ich werde versuchen, mich zu bessern, kann aber nichts versprechen!) Ivor war zu Hause. Ja, das Telefon habe ständig geläutet, aber er habe nicht abgenommen, weil er dachte, es sei Hebe mit fadenscheinigen Entschuldigungen, warum sie nicht gekommen war, und er sei noch so sauer gewesen, dass er keine Lust gehabt habe, mit ihr zu sprechen. Erst am Mittag war er eine Zeitung kaufen gegangen – die gleiche, die wir gelesen hatten.
Ivors Wohnung war sehr elegant eingerichtet, mit teurem frühviktorianischen Mobiliar und wertvollen Gemälden. Er hatte Vermögen – eine Großtante hatte ihm vor zehn Jahren ein Haus hinterlassen und eine beträchtliche Summe Bares –, und er hatte sich von dem Geld etwas gegönnt. Als zwanghaft ordentlicher Mensch (ein richtig pingeliger alter Pedant, sagte Iris, aber es klang durchaus liebevoll) war er
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