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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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Treffpunkt. Dort trugen sie ihr williges Opfer ins Haus und warfen es aufs Bett, wo es den Auftraggeber erwartete. Dreißigtausend Pfund. Ivor hatte nur einen Tausender investiert und brauchte die zweite Hälfte erst sehr viel später zu bezahlen.
    Nicht, dass ich mir ein moralisches Urteil über »Abenteuersex« anmaße – wie sehr sind wir heutzutage doch darauf bedacht, nur ja nicht die Moralischen zu spielen! –, denn aus meiner Sicht hat die Sache mit Moral nichts zu tun. Ich habe nichts gegen Sadomaso für den, der es mag und sich nicht daran stört, anderen Schmerzen zuzufügen oder sich selbst Schmerzen zufügen zu lassen. Da spielt sich wohl viel in der Phantasie ab, und als gelernter Buchhalter und inzwischen Chef einer Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterkanzlei bin ich damit wie gesagt nicht sehr reich gesegnet. Ich bin zu sehr Mittelmaß. Sich zu verkleiden und Wunschträume auszuleben finde ich grotesk, aber die Vorstellung schockiert oder beunruhigt mich nicht, sondern bringt mich allenfalls zum Lachen. Arzt und Patient, Lehrer und Schülerin, Nonne und Priester, vorgetäuschte Vergewaltigungen – die Liste ließe sich fortsetzen. Ich glaube zwar nicht, dass Ivor und Hebe derlei Spielchen trieben, aber ihre Neigungen gingen in diese Richtung, und wenn ich daran denke, ist mein Lachen mir peinlich. Würden zwei Männer mir eine Frau aufs Bett werfen, ich würde … nein, da kommt meine schwach entwickelte Vorstellungskraft nicht mit.
     
    Am glücklichsten waren wir in jenen ersten Jahren an den Wochenenden in Monks Cravery. Die Gegend war hübsch, aber nicht spektakulär, und unser Cottage war nur eins von Tausenden in England – Strohdach, mit Rosen oder Jasmin umrankte Haustür aus Eiche, holzgetäfelte Decken, Sprossenfenster, eine krumme Treppe, Zugang zum Bad durch die Küche. Aber gibt es etwas Anheimelnderes als so ein kleines englisches Haus auf dem Land? Wenn das Holzfeuer im Kamin brannte und wir die Vorhänge zuzogen, waren wir selig. Arbeit hatten wir mit dem Cottage nicht. Unter der Woche kam Peggy zum Putzen, und ihr Mann Bob kümmerte sich um den Garten. Auf der Hinfahrt kauften wir in einem Supermarkt ein, und am Samstagvormittag fuhr einer von uns nach Great Cravery und holte die Zeitung. Gewöhnlich machten wir am Samstagnachmittag einen langen Spaziergang, auf den wir Nadine mitnahmen, in ihrem Tragetuch an Iris’ Brust liegend oder auch an meiner, denn sie war schon recht schwer geworden.
    Es gibt viele Sorten von Müttern, aber nur zwei Sorten von Vätern, extrem kinderliebe und gleichgültige. Damit hätte Tolstoi einen Roman anfangen sollen statt mit diesem dubiosen Gerede über glückliche und unglückliche Familien. Ich gehöre zu den Vätern, denen ihre Kinder über alles gehen, und habe das Glück, dass unsere gesund und kräftig zur Welt kamen und sich prächtig entwickeln. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte an Gott glauben – und daran, dass man die Seele in Gramm wiegen kann und wir uns in einem bestimmten Alter im Himmel treffen –, so dass ich jemanden hätte, bei dem ich mich bedanken könnte. So aber bin ich ganz egoistisch und einfach dankbar, dass Iris und ich gute Gene haben, eine Einstellung, die Richard Dawkins freuen würde.
    Diese Spaziergänge am Samstagnachmittag waren für mich das Schönste am ganzen Wochenende, weil ich dabei Nadine – auch wenn das gefühlig klingen mag – an meinem Herzen tragen durfte. Ich hätte ewig so weiterwandern können, über die schmalen, von blühenden Hecken gesäumten Wege, vorbei an den Böschungen voller Himmelsschlüssel, hin und wieder ein paar Worte mit Iris wechselnd, die saubere Luft atmend und durch Stoff und Windeln die Wärme von Nadines kleinem Körper spürend. Meist schlief sie, manchmal aber musterte sie ihre Umgebung mit runden, wachen blauen Augen, und wenn ich auf sie heruntersah, schenkte sie mir ihr bezauberndes Lächeln. Nur ungern kehrte ich wieder um, so dass Iris lachend sagte, wenn ich mich von meiner Tochter nicht trennen könne, werde sie mich nicht daran hindern, sie abends auch noch zu baden und an ihrem Bettchen zu sitzen, bis sie eingeschlafen war.
    An jenem Samstag aber fiel trotz des schönen Wetters der Spaziergang aus. Ich fuhr etwas später als sonst nach Great Cravery – wir waren länger im Bett geblieben –, kaufte eine der sogenannten seriösen Tageszeitungen und warf einen flüchtigen Blick darauf, während ich wieder in den Wagen stieg und sie auf dem Beifahrersitz

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