Das Geburtstagsgeschenk
nichts zu sagen brauchen. Ein Autounfall. Weiß der Himmel, warum sie zu Fuß unterwegs war, eigentlich hätte sie in der U-Bahn sitzen müssen, sie wollte sich doch mit dir treffen. Na, egal.« Ein tiefer, zittriger Seufzer. »Jetzt ist alles egal.«
Keine Ahnung, was mich in diesem Augenblick geritten hat, ihm meine Hilfe anzubieten, ich mache das sonst nicht, mir hilft ja auch keiner. »Soll ich kommen? Wenn ich irgendwas für dich tun kann …“
»Sehr freundlich, aber … Ja, doch, bitte. Wenn es dir nichts ausmacht?«
Ich stand auf, zog mich an, kaufte in dem Laden um die Ecke eine Zeitung und starrte die Schlagzeile an. Von einem Entführungsversuch hatte Gerry nichts gesagt. Sie war mit Handschellen gefesselt und geknebelt worden, stand da, die beiden Männer hatten Skimasken getragen, und der Wagen hatte geschwärzte Fenster. Es war ein richtiges Drama, in das ich da geraten war, und das fand ich aufregend. Mein Leben bietet wenig Aufregendes. Ivor Tesham fiel mir ein, und ich versuchte, mich an das zu erinnern, was Hebe mir über die Pläne für das Geburtstagsgeschenk erzählt hatte. Sie sollte den Watford Way entlanggehen, da würde ein Wagen sie abholen. Mit Tesham oder seinem Fahrer am Steuer? Das hatte sie nicht gesagt, vielleicht wusste sie es nicht. Nun hatte tatsächlich ein Wagen sie abgeholt, aber es war nicht der von Tesham gewesen. Eine echte Entführung also, vielleicht ein Zufall, mit dem er nichts zu tun hatte. Er hatte gestern Abend auf sie gewartet, so wie ich angeblich auf sie gewartet hatte, aber sie war nicht gekommen.
Auf der Fahrt nach West Hendon und zur Irving Road dachte ich an das Alibi, um das Hebe mich gebeten hatte. Gerry hatte ich schon angelogen, und der Gedanke, dass mich womöglich die Polizei verhören würde und ich die auch würde anlügen müssen, war wie eine kalte Dusche. Oder sollte ich mit der Wahrheit herausrücken und ihnen sagen, was Hebe vorgehabt hatte? Es war Samstag und nicht viel Verkehr, in zehn Minuten war die Strecke zu schaffen, und in dieser Zeit musste ich mir überlegen, was ich sagen sollte, wenn Gerry mich über gestern Abend ausfragte. Dabei wusste ich noch nicht mal, in welchem Theater »Lebensbedrohlich« lief. Ich bog von der A 5 ab, parkte und sah in der Zeitung nach, die ich gekauft hatte. »The Duke of York’s« – wo war das gleich? St. Martins Lane wahrscheinlich. Ich würde sagen, dass ich vor dem Theater gewartet hatte, bis es zu spät war hineinzugehen. Und warum hatte ich nicht angerufen und gefragt, wo Hebe steckte? Irgendwas würde mir schon einfallen. Erst als ich den Wagen wieder anließ, traf es mich wie ein Schlag: Hebe ist tot! Wir hatten uns an der Uni kennengelernt und waren seither befreundet. Ich war ihre Brautjungfer gewesen und war Justins Taufpatin, auch wenn ich’s sonst nicht so mit dem lieben Gott habe. Ich würde sie nie wiedersehen. Sie war weg. Tot. Ich hielt wieder an und stellte den Motor ab.
Ich hätte untröstlich sein müssen, war es aber nicht. Natürlich würde ich so tun als ob, wenn ich zu Gerry kam. Meine beste Freundin, wir hatten uns mindestens einmal in der Woche gesehen, ganz zu schweigen von den vielen angeblichen Kino- und Restaurantbesuchen. Ja, sie wollte mit ihrer besten Freundin ins Theater, hatte er wohl der Polizei erzählt. Wie brav und solide sich das anhörte! Wie sie angezogen war, als man die Leiche gefunden hatte, stand nicht in der Zeitung, aber vielleicht wussten die Presseleute das nicht, vielleicht hatte die Polizei es nicht rausgelassen, und mir fiel ein, dass sie gesagt hatte, sie würde vielleicht unter dem langen Mantel gar nichts anhaben. Und warum war ich nicht untröstlich? Weil ich sie, obwohl sie all die Jahre meine »Freundin« gewesen war, eigentlich nicht mochte. Gedankenlos sprechen wir von Freunden, ohne zu überlegen, wie wir tatsächlich zu ihnen stehen, dass wir sie in Wahrheit fürchten oder beneiden. Wie sollte ich eine Frau mögen, die all das hatte, was ich nicht hatte? Mochte sie mich? Wahrscheinlich nicht, aber dass ich unscheinbar und langweilig und unbeholfen war und sie dadurch umso mehr glänzen konnte, das passte ihr gut in den Kram.
Ich war die Intelligentere, aber das zählte nicht. Sie war schön und selbstbewusst, hatte einen Mann, ein Kind, einen Liebhaber und keine Sorgen. Sie hatte nie gearbeitet, brauchte also nie in der Angst zu leben, ihren Job zu verlieren. Sie wusste nicht, wie es war, für eine Einrichtung zu arbeiten, die ständig von
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