Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
Vom Netzwerk:
damit stand fest, dass ich für Hebe nicht wichtiger war als diese Grania. Justin saß im Wohnzimmer auf dem Fußboden, umgeben vom Inhalt seiner Spielkiste, und wiederholte in einem monotonen, aber nicht direkt unglücklichen Singsang: »Mummy, Mummy, Mummy!« Als er mich sah, drehte er sich weg und bohrte sich die Fäuste in die Augen.
    Am Donnerstag war Gerry schon weg, und die Justin-Sitterin vom Dienst war Lucy Compton, eine von Hebes Brautjungfern. Die andere war ich gewesen. Wir müssen urkomisch ausgesehen haben in unseren hellblauen Satinkleidern und mit Kornblumenkränzen im Haar, denn Lucy ist einen Meter fünfundsiebzig und ich eins fünfundfünfzig. Immerhin war sie mir lieber als Grania. Noch am Montag hatte ich mir eingebildet, Hebes beste Freundin, ihre engste Vertraute zu sein, nun hatte ich Zweifel. Justin war offenbar an Lucy gewöhnt, ließ sich von ihr auf den Arm nehmen und schmuste mit ihr. Wenn sie ihn absetzte, kam er gleich wieder angerannt und kletterte auf ihren Schoß.
    Ich habe den Eindruck, dass Hebe mich hintergangen hat, so wie sie es mit allen gemacht hat. Sie hat mich in dem Glauben gelassen, ich wäre ihr wirklich wichtig. Ich will gar nicht groß drum rumreden: Ich leide unter der Zurücksetzung, ich bin eifersüchtig auf Lucy – wegen Hebe und wegen Justin. Damit geht die Vergangenheit für mich kaputt, ich frage mich, ob Hebe sich nicht nur aus praktischen Gründen mit mir abgegeben hat, ob ihr überhaupt was an mir lag. Sie konnte mich gut gebrauchen, weil ich bereit war, ihr ein Alibi zu geben. Vielleicht hatte sie Lucy darum gebeten, und die hatte nicht mitgemacht. Ich wartete förmlich auf die Frage, ob ich wüsste, dass Hebe ein Verhältnis gehabt hatte, stattdessen musste ich mir lauter Phrasen anhören – wie schrecklich es ist, jung zu sterben, und was für eine Tragödie für Gerry und Justin.
    Ich hatte bald genug von diesen Plattheiten und ging nach oben, um Hebes Sachen zu sortieren. Zuerst nahm ich mir die Schublade vor, in der ihr Schmuck war – jede Menge Ramsch, vor allem Ketten und eine kleine Plastikschachtel mit dem Verlobungsring, dem Medaillon und dem Armreif. Ich hatte drei große Müllsäcke mitgebracht und eine Tragetasche. Der Trödel kam in die Tasche, dann langte ich in der Schublade ganz nach hinten und holte das flache schwarze Lederetui hervor, in dem auf rosa Samt gebettet die Perlen lagen.
    Sie waren wunderschön, aber ob sie auch schöner waren als die aus dem Kaufhaus, hätte ich natürlich nie erkennen können und Gerry auch nicht. Sie habe die Kette in den British Home Stores gekauft, hatte sie gesagt, und er hatte ihr das aufs Wort geglaubt. Was hatte Ivor Tesham wohl dafür auf den Tisch gelegt? Tausend Pfund? Fünftausend? Mehr? Ich setzte mich aufs Bett, das, wie Gerry sagte, seit ihrem Tod unberührt war, und überließ mich Gedanken, die schlecht und gemein, um nicht zu sagen kriminell waren. Ob andere Leute auch an so was denken, wenn sie in Versuchung geführt werden? An Möglichkeiten, die sie vor Gericht, ja ins Gefängnis bringen würden? Oder kommt ihnen so was nie in den Sinn, weil sie ehrlich, weil sie gute Menschen sind, die über solche Ideen nur lächelnd den Kopf schütteln würden? Wahrscheinlich hätte ich auch gut lächeln, wenn ich Hebes Glück und ihre Chancen gehabt hätte, aber das Leben hat mich nicht sehr fair behandelt, und das ist noch milde ausgedrückt.
    Wer würde es merken, wenn ich mit den Perlen zu einem Juwelier ginge, sie schätzen ließe und ihn dann fragte: »Würden Sie mir die abkaufen?« Gerry hat Hebe geglaubt, als sie ihm vorgeschwindelt hat, wo die Perlen herkommen. Für ihn sind sie nicht wertvoller als die Klunkerkette aus rotem Glas, die ich gerade in die Tragetasche gesteckt habe. Er geht davon aus, dass ich die Perlen zusammen mit den Glasklunkern und dem holzgeschnitzten Armband und der Plastikbrosche entsorge. Die Anzahlung für die Studiowohnung haben mir meine Eltern gegeben, aber für die Hypothekenraten muss ich selber aufkommen, und ich bin arm. Die Bibliothek zahlt mir als Hungerlohn – sie nennen es Gehalt – nicht viel mehr als die Hälfte des nationalen Durchschnittseinkommens, und als mein Vater noch lebte, hat er immer gesagt, das wäre eine Schande für eine Frau mit einem Zweierexamen von einer guten Hochschule. Der Wagen, den ich fahre, ist der von meinen Eltern, sie haben sich einen neuen und besseren gekauft. Und auch die Möbel in meiner Wohnung sind ausrangierte Stücke

Weitere Kostenlose Bücher