Das Geburtstagsgeschenk
hatte Justin mich gemocht, wir waren immer gut miteinander ausgekommen. Wahrscheinlich hatte sein Vater oder Grania oder Lucy ihn gegen mich aufgehetzt. Das passiert mir immer wieder, mit mir kann man’s ja machen. Ich schrieb Lucy einen Zettel, sie solle Gerry ausrichten, dass ich Hebes Kleider mitgenommen hätte und sie entsorgen würde, und dann ging ich, ohne mich noch einmal umzusehen.
Als ich abends zu Hause saß und wie üblich nicht wusste, was ich mit mir anfangen sollte, sah ich mir die Perlen noch mal an, ihre cremefarbene Blässe, den zarten Schimmer, den alle Perlen haben, ob echte, Zuchtperlen oder nachgemachte, aber in Gedanken war ich bei Ivor Tesham. Inzwischen war er bestimmt nicht mehr im Unterhaus, sondern in seiner Wohnung in der Old Pye Street, Westminster. Wenn er nicht ausgegangen war. Ich stellte mir vor, dass er ein aufregendes Leben führte, hektisch und kostspielig, in Klubs und bei Premieren, ganz anders als ich, ein Leben, von dem ich nur das weiß, was in der Zeitung steht. Er würde eine neue Frau dabeihaben, denn dass er Hebes Andenken treu bleibt, ist eher unwahrscheinlich. So grundverschieden, wie Ivor Tesham und ich als Menschen sind, ist auch das Leben, das wir führen. Bei mir und Gerry ist das anders. Wir sind vom gleichen Schlag. Ich wäre als Frau viel besser für ihn geeignet, als Hebe es war. Sie war wie Tesham oder wäre so geworden. Ich sehe sie plötzlich vor mir, in einem luxuriösen Schlafzimmer, in Korselett und mit Hundehalsband, und er starrt sie an, aber nein, ich will das gar nicht sehen und kneife die Augen zu, damit das Bild weggeht. Der Mann macht mir Angst, ich kriege eine Gänsehaut, wenn ich nur an ihn denke, aber ich darf ihn nicht entkommen lassen.
Ein paar Tage später – nach meinem Urlaub, der kein Urlaub war – rief ich abends bei ihm an. Ich hatte die Perlen in eine Schublade gelegt, aber ich holte sie jeden Abend raus und betrachtete sie, und was ich sah, war nicht nur Schönheit, sondern ein Stück Macht. Wenn ich als Kind Angst vor irgendwem hatte, sagte Mummy: »Er wird dich schon nicht fressen.« Ivor Tesham konnte mich nicht fressen. Ich hatte seine Telefonnummer vergessen, aber er stand ja im Buch. Diesmal schrieb ich sie auf den Block am Telefon.
Bei unserem ersten Gespräch war ich mir vorgekommen wie eine dumme, naive Gans. Ich bin nicht mehr naiv, ich habe mich verändert und bin erwachsener geworden. Damals hatte ich geweint, und auch darüber kann ich jetzt nur staunen. Ich griff nach dem Hörer und wählte die Nummer, die auf dem Block stand, legte aber gleich wieder auf und überdachte noch mal, was ich vorhatte und was ich zu ihm sagen wollte. Sollte ich auf die Eingebung des Augenblicks hoffen? Ich schenkte mir ein Glas Wein ein, blieb am Telefon sitzen und überlegte. Ein völlig neues Gefühl von Macht überkam mich, und das kam durch die Perlen. Ich holte das Etui, machte es auf und fasste sie an. Ich habe Macht über Ivor Tesham, einen Minister der Krone, einen Mann, der Gesetze erlässt. Und dass ich nichts Genaueres über diese beiden Typen in dem Auto wusste, war nicht weiter schlimm. Er wusste ja nicht, wie viel ich wusste, nur, dass er in dem Stück mitspielte, und zwar als einer der Hauptdarsteller.
Ich dachte an seine Stimme und den aalglatten Ton, sein Foto im Dod’s, seine Biographie (Eton und Brasenose, als Barrister zugelassen … ), daran, wo er stand und wo ich stand. Er ist reich und sieht gut aus, ist Parlamentarier, fast schon ein regelrechter Minister, wird im Lauf der Zeit immer einflussreicher werden, während ich zu der unsichtbaren Gilde der übersehenen Frauen gehöre, von denen kaum ein Mensch weiß, dass es sie 1990 noch gibt. 1890, höre ich die Leute sagen, ja, da schon, aber heute doch nicht mehr. Nicht sechzig Jahre, nachdem die Frauen das Wahlrecht bekommen haben, nachdem die feministische Bewegung sich durchgesetzt hat, nachdem ihnen kein akademischer Beruf mehr verschlossen und gleicher Lohn für alle in greifbare Nähe gerückt ist. Aber es gibt uns, und wir sind Tausende.
Wir legen uns allein ins Bett und stehen allein auf, fahren mit dem Bus oder der U-Bahn zur Arbeit, essen mittags unser Sandwich allein oder mit anderen Frauen in ähnlicher Lage, fahren mit dem Bus oder der U-Bahn zurück in eine winzige Bude oder ein Zimmer in Untermiete. Der Höhepunkt unserer Woche ist ein Kinobesuch mit einer Mitbewohnerin. Männer gibt es in unserem Leben kaum oder gar nicht, weil wir nie welche
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