Das Geburtstagsgeschenk
tragischen Vorfall gegeben, es wäre nicht zu einer Anklage gekommen, allenfalls seinen Ehebruch hätten Puritaner als unehrenhafte Handlung auslegen können, aber der englische Gentleman ist seit den Kämpfen zwischen Roundheads und Cavaliers kein Puritanerfreund, und Ehebruch ist für ihn im Wortsinn ein Kavaliersdelikt. Es war nicht der Arm des Gesetzes, den Ivor fürchtete, sondern die Klatschpresse. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie lustvoll der Boulevard auf dem Sadomaso-Thema, den Handschellen, dem Knebel, den Entführern mit Skimaske und den geschwärzten Wagenfenstern herumgeritten wäre. Als Kontrastprogramm hätte man Mitgefühl für die Familie Lynch, für Lloyd Freemans Angehörige und vor allem für Hebe Furnals betrogenen Ehemann geheuchelt. Reine Zerstörungswut wäre das gewesen, die nie ein Ende gefunden und bei jeder seiner Reden im Unterhaus neuen Auftrieb bekommen hätte.
Als dann später durch die Verwirrung um Kelly Mason, die Entdeckung der Schusswaffe und die Vernehmung von Sean Lynch weitere Komplikationen auftraten, war Ivor der Weg zur Polizei vollends verbaut. Es war zu spät. Er konnte nur noch stillhalten, warten und hoffen.
Qualvolle Monate folgten. Im Frühling aber sah alles wieder freundlicher aus, zeitgleich mit dem Beginn seiner Beziehung zu Juliet Case. Sie waren inzwischen »ein Paar«, wie man so sagt. Der Evening Standard brachte sogar ein Foto der beiden. Da hatten gerade der Golfkrieg und die Luftoffensive gegen den Irak begonnen. Ivor hatte im Unterhaus eine Erklärung abgegeben und war drei Tage später wieder in der Zeitung, als er sich mit patriotischer Empörung (wie es sich für einen englischen Gentleman gehört) über die Gefangennahme der alliierten Piloten äußerte, die der Irak im Fernsehen vorgeführt hatte. Er verabscheute die Tat, er wetterte gegen diese »niederträchtige Art der Publicity«, aber für seine eigene Person war ihm der Presserummel gar nicht unlieb.
Auf die Mörserattacke DER IRA, bei der Anfang Februar Downing Street unter Beschuss geriet, dürfte er mit einer Mischung aus Empörung und Nervenflattern reagiert haben. Sie galt als die dreisteste Operation DER IRA nach dem Bombenanschlag in Brighton. In dem Raum, in dem zur Zeit des Anschlags das Kabinett zusammensaß, gingen sämtliche Scheiben zu Bruch. Ich habe den Verdacht, dass Ivor bei aller Entrüstung über die schändliche Tat vor allem der Gedanke nervös machte, dass abermals DIE IRA beteiligt war, denn so etwas erinnerte ihn unweigerlich an Sean Lynch.
Iris und ich hatten damals andere Sorgen. Am 20. Februar kam unser Sohn zur Welt. Die Fahrt ins St. Mary’s Hospital war eine Angstpartie. Zwei Tage zuvor war auf dem Bahnhof Paddington eine Sprengstoffladung hochgegangen. Falscher Bombenalarm führte zur Schließung von Bahnhöfen, zu Straßensperrungen und Verkehrsstaus. Iris fürchtete schon, sie müsse das Kind im Auto zur Welt bringen, aber wir schafften es mit knapper Not, und nicht ich, sondern eine Hebamme beförderte es ans Licht der Welt. Es war ein großer Junge, vier Kilo schwer (oder achteinhalb englische Pfund, wie wir Ewiggestrigen sagen), und eine Stunde später hatte er auch einen Namen: Adam James.
Ivor kam den Kleinen besuchen, war aber in dem damals arbeitsreichsten Ministerium so eingespannt, dass er nicht lange bleiben konnte. Für uns begannen die Probleme, nachdem wir unseren Sohn nach Hause geholt hatten. Nadine, bisher das liebste, zärtlichste, für ihr Alter erstaunlich »erwachsene« Kind, verfiel wieder ins Krabbelstadium und verweigerte die Nahrung. Ihre neue Art zu weinen ging uns durch und durch, statt des kraftvollen, ohrenzerreißenden Geschreis einer fast Eineinhalbjährigen hörte man das leise Wimmern eines Säuglings. Uns brauchte kein Kinderpsychologe zu sagen, dass sie eifersüchtig auf den kleinen Bruder war und auf diesem Weg versuchte, unsere Liebe zurückzuerobern.
»Vielleicht hätten wir uns kein zweites Kind anschaffen dürfen«, sagte Iris, erschöpft von zwei schreienden, anspruchsvollen kleinen Wesen.
»Zu spät«, tat ich forsch. »Wenn alle so denken würden, gäbe es nur Einzelkinder auf der Welt. Wir kriegen das schon hin.«
Wir kriegten es tatsächlich hin, aber es dauerte mehrere Monate, bis Nadine ihren Bruder akzeptiert hatte, und noch zwei weitere, bis sie ihn mit leidenschaftlicher Fürsorglichkeit lieben lernte. In dieser Zeit ging ich zwar wie gewöhnlich ins Büro, aber abends blieben wir zu Hause, weil wir
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