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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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empfing ihn mit: »Wie geht’s, Ivor?« Statt aber den Champagner ebenso freudig zu begrüßen wie seinen Gast, erklärte er zu Ivors Enttäuschung, er trinke nicht, habe nie getrunken, es schmecke ihm einfach nicht. Dermot war Alkohol verboten, aber Ivor öffnete die Flasche (gewandt wie immer, nehme ich an, ohne einen Tropfen zu verschütten), und er und Philomena machten sich daran, sie zu leeren. Sie tranken aus Steinzeugbechern. Es gab keine Gläser in der Wohnung, nicht einmal ein Wasserglas. Niemand dort trank Wasser oder Fruchtsaft oder sonst etwas außer Tee.
    Das Zimmer war vollgestellt mit abgewetzten Sesseln, einem uralten durchgesessenen Sofa und einem Tisch, der ohne weiteres in ein doppelt so großes Zimmer gepasst hätte, aber das alles fiel kaum auf angesichts der Vielzahl von Devotionalien, den Kruzifixen und Ikonen (Ivors Worte) – ein in den Händen Marias blutendes Herz Jesu, ein Christus am Kreuz, das Gesicht schmerzverzerrt unter der Dornenkrone, eine Statuette der Heiligen Jungfrau mit dem Kind. Die Überfülle dieser Bilder bedrückte Ivor. Er brauchte den Champagner, um sie zu vergessen, um sich ihrem Vorwurf zu entziehen. Verstärkt wurde die Beklemmung noch durch Dermot, der durchs Zimmer schlurfte, den glanzlosen Blick von der Statuette zum Kruzifix wandern ließ und schließlich vor dem gerahmten Druck einer bleichen Frau mit Schleier über dem Haar haltmachte. Er sah das Bild mit großen Augen an und bewegte die Lippen. Es sah aus, als bete er.
    »Er spricht mit der heiligen Rita«, sagte Philomena liebevoll. »Die verehrt er sehr.«
    Sean verdrehte die Augen und tat hinter dem Rücken seiner Mutter, als spiele er auf der Fiedel eine traurige Weise. Ivor schenkte sich Champagner nach und kam auf den Zweck seines Besuches zu sprechen. Als er wieder zu Hause war – oder vielmehr bei seinem nächsten Besuch in der Bibliothek des Unterhauses –, schlug er die heilige Rita nach. In ihren letzten Lebensjahren hatte sie selbst unter schweren Krankheiten gelitten und galt in ihrem Heimatland Spanien als die Heilige des Unmöglichen, die Heilige der unheilbar Kranken.
    Mit keinem Wort deutete Ivor an, dass der wahre Grund für sein Angebot war, einer möglichen Erpressung vorzubeugen. Und vielleicht war es auch nicht der Grund, vielleicht handelte er tatsächlich aus Freundschaft – und Mitleid. Aber auch davon sprach er nicht, sondern sagte, Dermot habe so lange seinen Wagen gewartet (es waren genau drei Jahre gewesen, und wie oft lässt man in drei Jahren bei einem Wagen, den man nur am Wochenende fährt, einen Kundendienst machen?) und habe so gut und gründlich gearbeitet, sei so nett und höflich gewesen und habe den Wagen immer persönlich zurückgebracht, dass sie echte Freunde geworden seien. Es muss ihn Überwindung gekostet haben, das an diesem Ort und vor diesen Menschen zu sagen, während der grobschlächtige Sean mit dem roten Gesicht des Trinkers, der er nicht war, in schmutzig weißem Unterhemd, Khakishorts und schulterlangem schmutzig gelbem Haar hinter dem Rücken seiner Mutter Grimassen schnitt. Er sei es dieser Freundschaft schuldig, erklärte er, Dermot und seiner Familie das Leben zu erleichtern. Er hoffe deshalb, dass sie eine Unterstützung von zehntausend Pfund im Jahr annehmen würden.

17
    Es gab keine Diskussion. Ivor hatte mit dem einen oder anderen höflichen Einwand gerechnet, einem Protest wie »Das können wir doch nicht annehmen!« oder »Das ist viel zu viel!«. Aber er kannte seine Zuhörer eben schlecht, Menschen wie die Lynchs und ihre finanzielle Notlage. Auch wenn er Parlamentsabgeordneter und Minister war, wusste er nicht, dass es Männer und Frauen gab, deren ganzes Leben – für manche buchstäblich von der Wiege bis zur Bahre – ein Kampf ums Überleben war, um ein leidlich würdevolles Dasein, um Geld. Gar nicht mal viel Geld, nur so viel, dass es für das eine oder andere reichte, was für ihn eine Selbstverständlichkeit war – eine warme Wohnung im Winter, hin und wieder eine Urlaubsreise, ein Fernseher, ein fahrbarer Untersatz, zumindest irgendeine alte Kiste auf vier Rädern oder ein Motorrad. Dabei hätte ihm das eigentlich klar sein müssen. Er war ein Mann des öffentlichen Lebens, er war im Wahlkampf von Haus zu Haus gegangen, hatte mit halbwüchsigen Müttern gesprochen, mit Rentnern in Schlappen, mit Menschen, die von Arbeitslosengeld lebten – aber immer nur zwei Minuten an der Tür.
    Er war deshalb überrascht und vielleicht ein

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