Das Geburtstagsgeschenk
eingeschlafen, von oben hörte ich nichts mehr. Ich versuchte mir auszumalen – was mir nicht schwerfiel –, wie Tesham diesen Typen Geld gegeben, ihnen erklärt hatte, was er wollte, wie er auf Hebe gewartet und geflucht hatte, als sie nicht kam. Wie frustriert er gewesen sein muss. Und ich dachte an Hebes Klamotten und überlegte, ob er auch Sexspielzeuge hatte, Dildos vielleicht und Sachen, die mit Fell bezogen sind – und ob sie mit so was rumgemacht haben. Ich dachte an Ivor Tesham, seine Wohlerzogenheit, sein nüchternes Aussehen und konnte es mir nicht vorstellen, und dann hörte ich schleunigst auf, denn solche Gedanken bringen nur bis zu einem gewissen Punkt diese merkwürdige Aufgeregtheit, danach wird einem schlecht davon.
16
Trotz seiner abfälligen Bemerkungen über Eigenheime in den Vororten und Doppelgaragen besuchte Ivor uns offenbar gern – mit oder ohne Juliet. Er hing an unseren Kindern, was mich – warum eigentlich? – ein wenig wunderte, und hatte in Nadine eine glühende Verehrerin. Da vorüberfahrende Autos seinem Wagen, den er in Westminster auf der Straße parkte, immer wieder Kratzer, einmal sogar eine ziemlich heftige Beule auf der Fahrerseite verpasst hatten, fragte er uns, ob er ihn in unserer zweiten Garage unterstellen könne – »nur bis zum nächsten Umzug« – was immer das heißen mochte.
Wenn er den Wagen abholte, um damit in seinen Wahlkreis zu fahren, führten wir ähnliche Gespräche über seine schwierige Situation wie vor zweieinhalb Jahren – mit dem Unterschied, dass es jetzt von seiner Seite eher nachdenkliche Betrachtungen darüber waren, wie sehr ihn die Sorge umgetrieben hatte, die Schlaflosigkeit und die Angst vor dem, was der nächste Tag bringen mochte, wie er immer kurz vor einer Panikattacke gestanden hatte, die man ihm um keinen Preis anmerken durfte.
»Ich hätte, wie jener König bei Shakespeare, so gern im Buch des Schicksals gelesen, um mir eine Vorstellung von dem zu machen, was in der folgenden Woche oder auch nur am nächsten Tag auf mich zukommen würde.«
Er hätte wenig Freude daran gehabt, sagte ich. »Stell dir einmal vor«, sagte ich, »du hättest darin gelesen, Dermot würde eines Donnerstags wieder nach Hause kommen und im Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte sein …“ Ivor lachte – ja, wahrhaftig, er lachte.
»Du hast dich doch an das gehalten, was wir besprochen haben«, sagte Iris, »und hast keinen Kontakt zu den Lynchs aufgenommen?«
»Ja, dann muss es wohl heraus …“, fing Ivor an.
In diesem Moment kam Nadine herein und setzte sich auf seinen Schoß. Eine halbe Stunde später fuhr er los, um Juliet zu einem Wochenende in Morningford abzuholen. Etwa vierzehn Tage danach besuchte ich in Maida Vale einen Mandanten in der Blomfield Road, in einer dieser großen, italienisierten Villen mit Blick auf den Kanal. Da dieser sehr wohlhabende Mann, der an den Rollstuhl gefesselt war, grundsätzlich nicht auf Briefe reagierte (und seine Frau ebenso wenig), blieb mir nichts weiter übrig, als mit den Formularen fürs Finanzamt, die er unterschreiben sollte, zu ihm zu fahren. Nur noch wenige Tage trennten uns von Heiligabend. Weihnachtsbäume glitzerten hinter den Fensterscheiben, an den Haustüren hingen Stechpalmenkränze, und am Kanal zogen sich Lichterketten hin. Nach dem Besuch bei meinem Mandanten blieb ich noch eine Weile am Geländer stehen und sah den schimmernden Wasserlauf hinunter bis zu dem beleuchteten Café auf der Brücke.
Dann ging ich in Richtung U-Bahnhof – nicht, um mit der U-Bahn zu fahren, kein vernünftiger Mensch wäre auf die Idee gekommen, mit der U-Bahn von Maida Vale zu uns zu fahren, sondern um eins der Taxis heranzuwinken, die von Clifton Gardens her über die Warwick Avenue rollen. Auf halbem Wege – ich hatte vergeblich nach rechts und links Ausschau gehalten – bemerkte ich das Paar, das von der Brücke kommend darauf wartete, die Blomfield Road zu überqueren. Es war dunkel, aber der Himmel war klar, ein Irrtum war ausgeschlossen. Die beiden, die da eng umschlungen über die Straße gingen, waren Ivor und Juliet Case. Ich hob den rechten Arm, um ihnen zu winken, in diesem Moment kam ein Taxi, dessen Fahrer meine Geste offenbar auf sich bezogen hatte, und hielt. Ich stieg ein, ich wollte nach Hause. Ob Ivor mich gesehen hatte, wusste ich nicht.
»Wo könnten sie gewesen sein?«, fragte Iris.
»Keine Ahnung. Paddington Station?«
»Zu Fuß? Das glaubst du doch selber nicht«,
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