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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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widersprach Iris. »Ich will dir sagen, wo sie waren: in William Cross Court.«
    Ich hatte den Namen vergessen, ich hatte vergessen, wer dort wohnte, und musste nachfragen.
    »Mrs. Lynch und ihre Söhne wohnen in William Cross Court, Rowley Place, und der Rowley Place geht von St. Mary’s Gardens zur Warwick Avenue. Schau mich nicht so an. Rob, ich weiß, wovon ich rede, ich habe es mir auf dem Stadtplan angesehen, als ich sie seinerzeit im Auftrag von Ivor angerufen habe.«
    »Ausgeschlossen«, sagte ich. »Kann sein, dass er das früher fertiggebracht hätte, aber jetzt? Wozu?«
    »Ich werde ihn fragen.«
    Doch erst einmal war Weihnachten. Die beiden Kinder waren außer Rand und Band in ihrer Vorfreude. Mit weißem Bart und in Iris’ rotem, mit weißer Watte verziertem Kapuzenbademantel saß ich viele Stunden auf der Treppe, den Sack mit Geschenken neben mir, und wartete darauf, dass sie einschliefen. Ich glaube aber, Nadine hat in jener Nacht kein Auge zugetan. Als ich früh um fünf meine Gaben in ihren Strumpf steckte, sah sie mich verzückt an, offenbar ohne zu ahnen, dass ich nur ihr verkleideter Dad war. Ich könnte endlos von diesem Weihnachten erzählen, das nicht nur unseren Kindern, sondern auch Iris und mir Glanz und Freude brachte, aber es geht ja hier um Ivor, der am zweiten Weihnachtsfeiertag kam – allein, aber mit einem Sack voller Geschenke.
     
    »Ja, dann muss es wohl heraus …“, hatte er vor ein paar Wochen angefangen, dann waren wir durch Nadine davon abgekommen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er und setzte dann, leicht abgewandelt, noch einmal an. »Es ist alles okay, wirklich. Juliet besucht sie schon lange. Sie und Philomena sind befreundet.«
    »Philomena? Ihr nennt euch also schon beim Vornamen?«
    »Was soll denn das heißen, Iris? Heutzutage ist es üblich, sich mit Vornamen anzureden, ist dir das noch nicht aufgefallen? Juliet meinte, ich solle doch mal mitkommen, sie wollten mich kennenlernen. Es war alles sehr nett und freundschaftlich und hat mich geradezu befreit.«
    Es war eine längere Geschichte. Als Juliet vorschlug, er solle Philomena Lynch besuchen und Dermot kennenlernen, hatte er das zunächst rundweg abgelehnt. »Aber sie sind dir nicht böse«, versicherte Juliet. Er fragte, wie viel sie wüssten.
    »Dermot hat es Sean erzählt. Ich glaube nicht, dass Philomena etwas weiß. Sie ist tief religiös, eine überzeugte Katholikin, und wäre sehr schockiert gewesen. Aber Sean war von Anfang an eingeweiht. Er und Dermot hätten sich halb totgelacht, sagt er.«
    All das hatte sich letzten Sommer abgespielt, als Ivor sich der Gefahr, in der er war, noch so weit bewusst war, dass ihn bei diesen Worten ein Frösteln überlief. Sean musste eingeweiht werden, fuhr Juliet fort, weil Dermot sich seine Pistole leihen wollte. Die hatte Sean tatsächlich einem Typen in Warschau abgekauft, der amerikanische Dollar oder britische Pfund brauchte, um aus dem Land zu fliehen, aber Seans Motive für den Kauf waren nicht so harmlos gewesen, wie Juliet Ivor zunächst hatte weismachen wollen: Sean war vorbestraft. Deshalb hatte ihn die Polizei wegen des Mordes an Sandy Caxton zum Verhör geholt.
    »Du bist ja wahnsinnig!«, stieß Iris hervor.
    Ivor zuckte die Schultern. »Wart’s ab. Ich bin noch nicht fertig.«
    »Schlimmer kann es kaum werden.«
    Dermot lebe von einer staatlichen Unterstützung, die jetzt Invalidenrente heißt, einer geregelten Arbeit würde er nie wieder nachgehen können, erzählte Juliet. Seine Mutter ging putzen, Sean arbeitete auf dem Bau, meist waren es allerdings nur Gelegenheitsjobs, und oft genug gab es gar nichts für ihn zu tun. Nachdem er das gehört hatte, erzählte Ivor, sei er in sich gegangen. Der englische Gentleman ist gut zu dem Armen, er beglückt die kleinen Leute mit milden Gaben und Wohltaten.
    »Dann muss ich wohl etwas für sie tun«, sagte er.
    Dieser Meinung war auch Juliet. »Ich habe gehofft, dass du das sagen würdest.«
    Am nächsten Tag rief sie Mrs. Lynch an, und sie fuhren zusammen zum William Cross Court. Wie anders war doch alles als bei seinem letzten Besuch. Damals hatte er sich auf der Treppe herumgedrückt und sich vor Beobachtern versteckt, jetzt kam er als hochwillkommener Gast. Es war Ende Juli, der Beginn der parlamentarischen Sommerpause. William Cross Court wirkte viel freundlicher, auf einigen Balkons und auf den von der Stadt gepflegten Beeten blühten Blumen. Die Rasenflächen waren sattgrün und unkrautfrei.
    »Und da

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