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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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seines Vaters und seine Trauer. Gut einen Monat später, nach dem dritten Jahrestag von Hebes Tod, erwähnte er fast beiläufig, jetzt könne er es sich leisten, ein Haus in London zu kaufen. Als er seinen Wagen in unserer Garage untergestellt hatte, war wohl nur der Umzug in eine größere Wohnung geplant gewesen, aber jetzt lag ein Haus in Westminster durchaus im Bereich des Möglichen.
    Juliet hatte noch ihre Wohnung in Queen’s Park. Die Wochenenden verbrachte sie bei Ivor in der Old Pye Street, umgekehrt aber war er, soviel ich weiß, übers Wochenende nie in der Park Road gewesen. Ich vermute, dass diese Gegend unter seiner Würde war – für ihn als Minister der Krone (wie Philomena so stolz zu sagen pflegte), als Parlamentsabgeordneter, auf dem besten Wege, eine Fernsehpersönlichkeit zu werden. David Frost hatte ihn interviewt, er hatte sich dabei wacker geschlagen, auch war er ein gesuchter Gast für politische Talkshows. Man kannte sein Gesicht – aber dass man es auch in Kensal Green erkannte, wenn er zur Salisbury Road lief, um ein Taxi anzuhalten, musste nicht sein, wie er fand.
    Noch gab es keine Anzeichen dafür, dass Juliet zu ihm ziehen würde. Er hatte seine Wohnung zum Verkauf angeboten, und ein professioneller »House Hunter« suchte nach etwas Neuem für ihn. Diese Leute kassieren üblicherweise drei Prozent vom Kaufpreis, und Ivor war bereit, den Mann um vierzigtausend Pfund reicher zu machen.
    »Ich habe keine Zeit, mich endlos mit Maklerbüros und Besichtigungen aufzuhalten«, sagte er.
    Wovon lebte Juliet? Sie arbeitete nicht. Heute, auf dem Höhepunkt des Promi-Kults, hätte etwas von seinem Glanz auf sie abgefärbt, sie wäre vielleicht eine dieser gut aussehenden Frauen geworden, die, um berühmt zu werden, nichts weiter zu tun brauchen, als die Freundin eines bekannten Mannes zu sein. So weit war man damals noch nicht. Dass Juliet mit Ivor liiert war, hätte ihr mit Sicherheit keine Rolle verschafft – falls sie darauf überhaupt Wert legte. Sie war jetzt immer sehr gut angezogen, Folkloreröcke und Ethnoschmuck hatten ausgedient. Sie hatte sich die Haare wachsen lassen und trug sie, wann immer wir sie sahen, so schlicht, aber raffiniert hochgesteckt, dass wir – vor allem Iris – zu dem Schluss kamen, sie müsse dreimal in der Woche zum Friseur gehen. Wir tippten darauf, dass Ivor sie finanziell unterstützte, und waren altmodisch genug – obwohl Iris nur zwei Jahre älter war als Juliet –, um bei dem Gedanken ein gewisses Unbehagen zu empfinden, dass ein Mann eine Frau aushielt, die nicht seine Ehefrau, ja womöglich nicht einmal das war, wofür damals gerade der Begriff ›Lebenspartnerin‹ aufkam.
    Genaueres aber wussten wir nicht. Wir konnten und wollten nicht fragen. Es ging uns nichts an, und wir mochten Juliet, ihren Freimut, ihre offenkundige Zuneigung zu Ivor, ihren Charme. Doch die Frage blieb unbeantwortet, warum sie sich so bereitwillig mit Ivor eingelassen hatte, der – wie immer man es drehte und wendete – den Tod ihres verflossenen Freundes mit verschuldet hatte und ohne den Lloyd heute noch am Leben wäre.
    Sie wusste über alles Bescheid – von dem Angebot an Lloyd und Dermot bis zu dem Unfall, der Entführung, den Missverständnissen von Polizei und Presse, Dermots schweren Verletzungen und möglicherweise auch dem Verhör von Sean Lynch zum Attentat an Sandy Caxton.
    Eines Nachts – oder vielmehr in den frühen Morgenstunden – kam mir ein merkwürdiger und recht unwillkommener Gedanke. Ich war nach oben zu Adam gegangen, weil er weinte. Ein böser Traum hatte ihn geweckt. Was können das für Albträume sein, die einen zufriedenen Zweijährigen plagen, aus denen er schreiend erwacht und verzweifelt nach Vater und Mutter ruft? Sagen konnte er es mir nicht, deshalb blieb ich bei ihm sitzen und hielt seine Hand, bis er wieder eingeschlafen war, und auf dem Weg zurück in unser Schlafzimmer dachte ich plötzlich: Sie weiß Bescheid, aber sie schweigt wie ein Grab. Hat er sich ihr Schweigen erkauft?
    Am nächsten Morgen besprach ich es mit Iris. »Es gibt eine Art Erpressung, bei der keine Drohung ausgesprochen werden muss, bei der eher mit dem Gegenteil einer Drohung gearbeitet wird, indem er oder sie erklärt: ›Du weißt, dass ich nie etwas sagen werde.‹ Aber das Wissen ist da. Er weiß, dass sie es weiß, selbst wenn sie nie mehr davon spricht. Also verpflichtet er sich Juliet und bietet ihr – was? Doppelt so viel wie das, was die Familie Lynch

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