Das Geburtstagsgeschenk
eine lila Jogginghose an, eine geblümte Bluse und eine braune Strickjacke. Ob sie Mrs. Lynch sei, fragte ich, und sie nickte. Ihren Namen hat sie nicht genannt.
»Sozialamt Westminster«, sagte ich.
Sie schüttelte erst den Kopf, dann nickte sie.
»Darf ich reinkommen?«
Es war ihr nicht recht, aber da war ich schon durch die Tür und ging an ihr vorbei ins Wohnzimmer. Was dort jedem als Erstes ins Auge springt, sind die frommen Bilder und Figuren. Über dem Kaminsims hing ein Kruzifix, dem Christus war an der Seite rote Farbe aufgemalt. Das Zimmer war vollgestopft mit Möbeln – viel zu viele Möbel für viel zu wenig Raum –, und in einem Korbsessel, eingezwängt zwischen zwei weiteren Sesseln und einem Tisch, auch aus Korbgeflecht, saß ein Mann. Irgendwo in den Tiefen seines aufgedunsenen Gesichts, unter den Fettschichten, hinter den stumpfen Augen waren Reste von Dermot Lynch zu erkennen. Er trug eine weite Cordhose und unter einer Strickweste ein Karohemd, die großen roten Hände lagen schlaff auf dem vorgewölbten Bauch. Ganz still und stumm saß er da.
»Ich komme wegen des Einbaus von Behindertenhilfen in Ihrer Wohnung«, sagte ich. »Wir bieten einen entsprechenden Service an.«
In mir wuchs das Selbstvertrauen, das Mummys Spruch mir nicht hatte einimpfen können. Diese beiden – er mit hängendem Kopf der Inbegriff von Apathie und Verständnislosigkeit, sie unwissend und verängstigt – wirkten so unterwürfig, dass ich mich überlegen fühlte. Kein Problem: Ich hatte alles im Griff.
»Das ist Ihr Sohn Dermot?«
Sie nickte.
Ich sah auf ein paar bedruckte Blätter, die ich mitgebracht hatte. »Wie ich gerade feststelle, haben wir keinen Bericht über den Unfall, der zu Dermots Behinderung führte«, sagte ich und tat, als ob ich las. »Was ist dabei genau passiert, und wann war das?«
Jetzt machte er den Mund auf. Was herauskam, war ein monotones Krächzen, eine elektronische Roboterstimme. »Autounfall«, sagte er und noch mal: »Autounfall. Schlimm. Schlimm. Schlimm.«
Ich wandte mich an seine Mutter. »Saß er am Steuer?«
Sie nickte wieder. Sie waren wie zwei Automaten, die beiden, die man auf Nicken, Kopfschütteln und einsilbige Antworten programmiert hatte. Ich sah wieder auf die mitgebrachten Blätter und fuhr mit dem Zeigefinger an den Zeilen entlang, als suchte ich nach einem bestimmten Wort oder Namen.
»Und der Wagen gehörte Mr. Tesham?«
Ich hatte mit verständnislosen Blicken gerechnet, aber nein – diesmal nickte er. Der Roboter hob den Kopf und bewegte ihn von oben nach unten, immer wieder, aber die Antwort gab seine Mutter, lebhafter als bisher und mit leicht geröteten Wangen.
»Mr. Tesham ist ein sehr guter Mensch, er sorgt für uns.«
Da war meine Verbindung, darauf hatte ich gewartet. Ich stand auf. Leute mit mehr Grips, Leute, die eine ungefähre Vorstellung von den Aufgaben eines Sozialamts haben, hätten vielleicht erwartet, dass ich mir die Wohnung ansehe und prüfe, wo man Handläufe oder Rampen einbauen kann, aber davon hatten diese beiden keine Ahnung.
»Wäre das dann alles?«, fragte Mrs. Lynch.
In diesem Moment drehte sich ein Schlüssel im Schloss, die Wohnungstür schlug zu, und ein Mann kam herein. Er sah auf eine grobschlächtige, gewalttätige Art gar nicht mal übel aus. Das schmutzig gelbe Haar fiel in langen fettigen Locken auf die Schultern einer schwarzen Lederjacke, er trug auch sonst viel glänzendes abgestepptes Leder am Körper, die Jeans steckten in dicken schwarzen Stiefeln mit vielen Schnallen. Was macht die Leute bei Leder so an? Der Geruch, das Gefühl, der Glanz – oder alles miteinander?
»Sean Lynch«, sagte er zu mir, und zu seiner Mutter: »Wer ist das?«
»Eine Dame vom Amt.«
»Was will sie?«, fragte er über meinen Kopf hinweg.
Dermot sagte: »Mr. Tesham«, und fing wieder an zu nicken, auf und ab, auf und ab.
Der Argwohn quoll Sean aus allen Poren. Jetzt wandte er sich wieder an mich. »Sie können sich ausweisen?«
»Nein, tut mir leid.«
»Das soll es auch. Und was ist das?« Er riss mir die bedruckten Blätter aus der Hand, es waren meine Gasrechnung und zwei Seiten erläuternder Text, den sie immer beilegen und den kein Mensch liest. Er warf alles auf den Boden. »Was haben Sie mit Mr. Tesham zu tun?«
Mit dünner, heiserer Stimme hörte ich mich sagen: »Überhaupt nichts. Ihr Bruder hat gesagt, dass er Mr. Teshams Wagen gefahren hat.«
Er packte mich bei den Schultern und schüttelte mich. Nicht sehr
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