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Das Geburtstagsgeschenk

Das Geburtstagsgeschenk

Titel: Das Geburtstagsgeschenk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vine
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entschädigte, zumal er es sich jetzt und in absehbarer Zukunft ohne weiteres leisten konnte.
    Er habe mehr oder weniger die Angst vor Entdeckung verloren, sagte ich. Allerdings gab es da noch die ›Alibi-Lady‹. Er hatte nie mehr von ihr gehört, und seit seinem Besuch in ihrer Wohnung, als er gehofft hatte, sie würde ihm die Perlen aushändigen, waren Jahre vergangen. Ob er überhaupt noch an sie dachte? Vielleicht glaubte er, sie habe geheiratet und sei weit weggezogen. Beryl Palmer machte ihm mehr zu schaffen. Hin und wieder kam er auf ihren Besuch zurück und sagte etwas verärgert, er könne nicht verstehen, warum Hebe ihm nicht erzählt hatte, dass sie vor seiner Wohnung mit Beryl zusammengetroffen war.
    »Ich kann das sehr gut verstehen«, sagte Iris. »Sie wusste, was für ein schrecklicher Snob mein Bruder ist. Sollte sie ihm erzählen, dass ihr Tante Beryl mit Eimer und Schrubber über den Weg gelaufen war?«
    Ich lachte mein lautloses Lachen.
     
    Bis zu den Parlamentswahlen waren es noch über drei Jahre. Ich möchte nicht behaupten, dass die Tories dazu verurteilt waren, die Wahl zu verlieren, dass es sich um eine Schicksalswahl handelte oder dergleichen, obwohl solche Worte damals durchaus fielen. So oder so sind achtzehn Jahre an der Macht eine lange, vielleicht zu lange Zeit.
    Ivor hätte so etwas nie gesagt. Was immer er privat denken mochte – in der Öffentlichkeit redete er stets so, als sei seine Partei unschlagbar und eile von Sieg zu Sieg, und nichts, was die Medien oder murrende Wähler sagten, konnte ihn davon abbringen. Wie sehr er auf einen Posten im Kabinett hoffte, behielt er ebenfalls für sich. Er wollte Verteidigungsminister werden, und zwar lange vor der Wahl, einer Wahl, die zu verlieren für ihn unvorstellbar war.
    Daraus sollte nichts werden. Täglich muss er auf den Anruf aus der Downing Street Number Ten gewartet haben. Während sich auf den Gängen des ehrwürdigen Palace of Westminster Gerüchte über eine Kabinettsumbildung überschlugen, war er hin- und hergerissen zwischen der Hoffnung, ja Erwartung, dass man ihn irgendwann berufen würde, und der resignierenden Ahnung, dass er vergeblich wartete. Doch als unerschütterlicher Optimist sah er das Positive. War er nicht von Anfang an ein Glückskind gewesen? Und war ihm das Glück nicht stets treu geblieben? Natürlich hatte er für dieses Glück auch gearbeitet, geschuftet hatte er wie ein Sklave im Dienste der Politik, hatte alles richtig gemacht, war ein braver Parteisoldat gewesen, im Ministerium wie auch in seinem Wahlkreis, immer zuverlässig, ebenso gründlich wie weitsichtig, arbeitsam, dabei aber gelassen und cool, beliebt, umgeben von einer Schar begeisterter Anhänger. Warum berief man ihn nicht in das Amt? Wie lange würde er noch warten müssen? Seine politische Uhr tickte, und Juliets biologische Uhr womöglich ebenso.

22
    Ich muss immer an das denken, was Mummy über Leute gesagt hat, vor denen ich Angst hatte: dass sie mich schon nicht fressen werden. Schwachsinnig eigentlich – als ob es für eine Achtjährige normal wäre, Kannibalen in die Hände zu fallen! Es hat mich auch nie getröstet, wenn sie das gesagt hat. Sie hat das Gefressenwerden wohl eher in übertragenem Sinne gemeint, aber das ist ja auch zum Fürchten.
    Ich hatte schon lange vor, zu den Lynchs zu gehen. Dass ich es noch nicht getan habe, liegt auch daran, dass sich an meinen Lebensumständen etwas geändert hat. Ich beziehe Sozialhilfe. Dafür musste ich mich als Arbeitssuchende registrieren lassen, aber bis sie einen Job für mich finden, zahlen sie die Zinsen für meine Hypothekenraten und ein sogenanntes Existenzminimum. Ich glaube, arbeiten gehen könnte ich jetzt gar nicht, einem normalen Job wäre ich nicht gewachsen. Vor allem auch, weil ich nicht schlafen kann, und wenn ich doch mal einschlafe, träume ich, dass ich mit Callum und seinem Hund über eine weite offene Fläche gehe, eine Art Heide oder Wüste. Es ist dunkel oder halbdunkel, und ich weiß: Wenn wir an eine bestimmte Stelle kommen, eine Stelle, an der ein Obelisk ins Dunkel ragt, bringt er mich um.
    Wie das mit der Sozialhilfe läuft, versteht Mummy nicht – kein Wunder bei dem behüteten Leben, das sie immer geführt hat und in dem es ihr an nichts fehlt! und deshalb schickt sie mir weiter jeden Monat einen Scheck. Eine Weile konnte ich dadurch den Besuch bei den Lynchs noch aufschieben, aber jetzt muss es sein. Ich will rauskriegen, ob Ivor Tesham Dermot Lynch

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