Das Geburtstagsgeschenk
und Lloyd Freeman dafür bezahlt hat, sich am Abend des 18. Mai in einen Wagen zu setzen und Hebe mitzunehmen, und ob das der Wagen war, der sie dann tatsächlich mitgenommen hat. Das ist die Verbindung, die ich brauche. Soweit ich weiß, ist Dermot Lynch der einzige Mensch auf der Welt, der – wenn er denn noch lebt – die Antwort kennt. Bis auf Tesham natürlich. Ich muss zum William Cross Court und mit Dermot Lynch sprechen oder, wenn er tot ist, mit jemandem, dem er sich vielleicht anvertraut hat. In der Zeitung stand, dass es da noch eine Mutter und einen Bruder gab, aber ob er sich von dem Unfall erholt hat, habe ich nirgends gefunden.
Diese Aufgabe gab mir etwas von meinem Selbstbewusstsein zurück – genau das, was Mummy immer mit ihrem Spruch »Sie werden dich schon nicht fressen« hatte erreichen wollen. Die Lynchs waren keine Kannibalen, sie würden mich nicht fressen, also wählte ich die Nummer, die unter William Cross Court 23 im Telefonbuch stand. Ein Mann meldete sich.
»Bist du das, Dermot?«, fragte ich.
»Er kann jetzt nicht ans Telefon. Wer ist denn da?«
Mit klopfendem Herzen legte ich auf. Er lebte also – und zwar an dieser Adresse. Womöglich war er der Mann, der sich gemeldet hatte, und wollte es bloß nicht zugeben. Ich muss hin, das steht jetzt fest.
Zuerst aber fuhr ich (mein Wagen ist zum Glück wieder in Ordnung) zum Pressearchiv in Colindale. Ich ließ mir die Zeitungen vom 18. bis zum 28. Mai 1990 geben, das heißt nur die reißerisch aufgemachten mit den dicken Schlagzeilen, Times und Telegraph hätten mir nichts genützt. Ich brauchte Fotos von den beiden Typen, und die gab es reichlich. Natürlich keine nach dem Unfall, die Reporter hatten sie sich wohl bei den Lynchs und die von Lloyd Freeman bei einer Theateragentur beschafft.
Lloyd Freeman war ein gut aussehender Mann, groß, mit lockigem schwarzem Haar, heller Haut und eher europäischen Zügen, wie die Weißen es an Schwarzen mögen. Was die Schwarzen selber schön finden, ist ihnen egal. Ein Foto hatte die Zeitung womöglich sogar im Archiv gehabt, auf dem trägt Lloyd eine Toga, es gehörte zu einer Kritik von Julius Cäsar, da hatte er den Casca gespielt. Besonders interessierte mich aber eine dieser Aufnahmen, wie sie professionelle Fotografen bei offiziellen Veranstaltungen machen, so denke ich mir das jedenfalls, von mir gibt es solche Bilder nicht, zu so vornehmen Sachen war ich nie eingeladen, aber Gerry Furnal hat mir mal Fotos von einer Fundraising-Veranstaltung gezeigt, die er organisiert hatte, da stand er neben einem ziemlich unwichtigen Mitglied der königlichen Familie. Lloyd war nicht sehr gut zu erkennen, weil sich zu viele Leute ins Bild drängelten, aber die Frau neben ihm, die sich bei ihm eingehakt hatte, erkannte ich sofort. Es war diese Carmen alias Juliet Case.
Ich konnte meinen Jubelschrei gerade noch unterdrücken, er wäre im Pressearchiv nicht gut angekommen. Mit einem Schlag fühlte ich mich wieder normal, hatte alles im Griff, war ganz bei mir.
Ich bin dort gewesen. Wäre ich bloß nicht hingegangen! Seither will mir der Titel von dem Stück, das ich mir angeblich mit Hebe hatte ansehen wollen, nicht mehr aus dem Kopf. Lebensbedrohlich. Lebensbedrohlich. Ich habe große Angst. Auf dem Heimweg habe ich gebibbert wie eine alte Frau mit Parkinson. In der U-Bahn zuckte mein rechtes Bein auf und ab, und meine Hände zitterten. Eine Frau starrte mich an. Ich machte die Augen zu und bemühte mich, tief durchzuatmen. Ich dachte, es würde mir vielleicht guttun, ein Stück zu laufen, und versuchte von der nächstgelegenen U-Bahn-Station zu Fuß heimzugehen, aber ich schlotterte so sehr, dass ich mich an einer Bushaltestelle auf eine Bank setzen musste, allerdings blieb ich dort nicht lange, denn da saß schon ein Mann mit einem Hund, wie Callum einen hatte. Ich ging weiter, und als ich mich umdrehte, war da niemand.
An das, was in William Court Cross Nr. 23 passiert ist, würde ich am liebsten gar nicht mehr denken, aber es muss sein, wenn ich das durchziehen will, weswegen ich hingegangen bin. Wenn Sean Lynch mir so große Angst einjagt – wie soll das dann erst bei Ivor Tesham werden? Natürlich gibt es einen Unterschied. Sean Lynch ist ein Schlägertyp, und Tesham – ja, Tesham ist das, was Mummy einen Gentleman nennen würde. Am besten schreibe ich alles auf, vielleicht kriege ich es dann aus dem Kopf und kann es ein für allemal begraben.
Eine alte Frau kam an die Tür. Sie hatte
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