Das Geflecht
gelegentlich ein schwaches Zucken durch das Bein, kläglicher Rest eines Abwehrreflexes, der ebenso automatisch und machtlos blieb wie das Zittern gegen die Kälte.
Es war kalt. Es war feucht. Und es war stockdunkel.
«Dana?»
Die Stimme ihrer Mutter kam aus weiter Ferne, zu schwach, um mit Bestimmtheit von einer Einbildung unterschieden zu werden.
«Dana!»
Doch: Da war
wirklich
eine Stimme, die nach ihr rief – aber sie klang anders als die Stimme ihrer Mutter.
«Dana, versuchen Sie sich zu entspannen! Ich kriege Sie sonst nicht aus diesem Spalt heraus.»
Etwas Weiches berührte das Gesicht des Mädchens – und der bloße Schreck bewirkte, dass ihre Sinne schlagartig zum Leben erwachten. Dana war wieder da, und ihre erste Empfindung bestand in panischer Angst. Bunte Lichtflecke tanzten vor ihren Augen und irrlichterten hin und her wie schwebende Gespenster. Sie schauderte, zuckte und versuchte sich zu bewegen, wobei ihre eingeklemmte Schulter heftig schmerzte. Endlich begriff sie, dass eine menschliche Hand nach ihr tastete.Für einen Moment erstarrte sie, heftig atmend, nicht sicher, ob von dem unsichtbaren Wesen Gefahr drohte. Dann aber legte sich die Hand auf ihre Wange. Wärme durchdrang ihre klamme Haut und entkrampfte ihre Kiefermuskeln. Die tanzenden Geister flatterten davon, verloschen wie Kerzenflammen im Wind und hinterließen tiefschwarze Finsternis.
Wieder sprach die Stimme zu ihr, vielleicht eine Armlänge entfernt.
«Ich weiß, dass Sie große Angst haben, Dana. Aber ohne Ihre Mithilfe kann ich Sie nicht befreien.»
Die Stimme schwieg eine Weile, während Dana mit offenen Augen in die Dunkelheit starrte.
Es ist nicht meine Mutter, begriff sie. Und ich bin auch nicht in dem alten Wandschrank im Keller.
«Kommen Sie schon, Dana – reden Sie mit mir!»
Langsam öffnete Dana den Mund und schaffte es mit einiger Mühe, ihren Atem zu beherrschen.
«Es ist … so dunkel», brachte sie schwach hervor, schaudernd beim fremden Klang ihrer eigenen Stimme. «Und da ist irgendetwas … an meinem Bein.»
«Machen Sie sich keine Sorgen. Sie haben nur eine heftige Hautreizung.» Die warme Hand entfernte sich von Danas Gesicht, glitt an ihrer Hüfte hinab und zu der entzündeten Stelle nahe dem linken Fußknöchel. «Halten Sie still, es könnte kurz ein wenig weh tun.»
Dana spürte ein Ziepen wie von Nadelstichen an ihrem Bein, als würden feine Haare aus der Haut gerissen. Ergeben biss sie die Zähne zusammen und lauschte der fremden Stimme, die sich plötzlich an einen unsichtbaren Mithörer wandte.
«Leon? Dem Mädchen geht es den Umständen entsprechend gut. Sie ist wieder ansprechbar, aber noch immer eingeklemmt – und außerdem hat dieser verflixte Pilz ihr Bein angegriffen. Ichversuche gerade, die Hyphen zu entfernen. Die Haut darunter ist stark geschwollen … nein, kein allergischer Schock, keine Dyspnoe, kein Geruch nach Erbrochenem. Möglicherweise eine normale Reaktion des Immunsystems.»
Sie spricht in ein Funkgerät, begriff Dana.
Also waren mehrere Menschen in der Nähe – vielleicht sogar eine Rettungsmannschaft. Zum ersten Mal seit Stunden blitzte Hoffnung in ihrem Geist auf: Sie war nicht allein. Sie war nur gestürzt und befand sich in irgendeiner Höhle tief unter der Erde. Aber sie würde nicht sterben, offenbar war sie nicht einmal schwer verletzt. Die fremde Frau, deren Stimme in der Dunkelheit schwebte, würde sie hier herausholen.
«Wo ist Finn?», fiel ihr plötzlich ein.
«Er hatte etwas weniger Glück», antwortete die Frau, während sie behutsam den Saum von Danas Jeans herabzog, um die entzündete Haut zu bedecken. «Komplizierter Beinbruch. Aber er ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus.»
«Warum ist alles dunkel?»
Ein entsetzlicher Gedanke streifte Dana. Eine Rettungsmannschaft musste Lampen bei sich haben, und dass sie nicht den geringsten Lichtfunken sah, konnte nur bedeuten, dass sie
doch
eine Verletzung davongetragen hatte – eine unerwartete, ernste, grauenvoll endgültige.
«Bin ich … bin ich …
blind?
», brachte sie fast tonlos hervor.
«Nein.» In der fremden Stimme schwang ein hörbares Lächeln. «Keine Sorge, Ihre Augen sind in Ordnung.»
Die Erleichterung ließ Danas Herz für eine Sekunde merklich stolpern. «Aber ich sehe nichts. Haben Sie denn kein Licht dabei?»
«Nein.»
«
Überhaupt
kein Licht?» Ihre Stimme, eben erst gefestigt, begann erneut zu beben. «Nicht einmal eine
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