Das Geflecht
Taschenlampe?»
«Das erkläre ich Ihnen später. Bitte versuchen Sie jetzt, sich auf Ihren Körper zu konzentrieren. Können Sie sich bewegen?»
«Nicht besonders gut.»
«Versuchen Sie es.»
Dana mühte sich einen Moment vergeblich. Erst jetzt, da ihre Sinne wieder erwacht waren, spürte sie in aller Deutlichkeit die unnatürliche Lage ihres Körpers. Offenbar war sie mit Kopf und Armen voran in eine Vertiefung gekrochen, die einen waagerechten Spalt von kaum dreißig Zentimeter Höhe bildete. Bei dem Versuch, die Beine nachzuziehen, hatte sie sich um die eigene Achse gedreht und war mit den Schultern unter einem Felsvorsprung steckengeblieben. Den rechten Arm konnte sie bewegen, nicht jedoch den Oberkörper: Ihre linke Schulter klemmte zwischen dem Vorsprung und ihrem eigenen Hals wie in einem Schraubstock. Auch den Kopf konnte sie nicht vom Boden heben, ohne dass ein heftiger Schmerz ihren Nacken hinaufschoss.
«Ich stecke fest.» Erneut flutete die Angst herauf und ließ ihre Kehle eng werden.
«Okay, ganz ruhig!», sagte die unsichtbare Frau. «Sie sind irgendwie hineingekommen, also kommen Sie auch wieder heraus. Versuchen Sie, den Kopf so weit nach vorn zu beugen, dass Sie Ihre Schulter frei bekommen.»
Dana gehorchte, doch es war zwecklos: Lediglich der Schmerz nahm zu, bis sie ächzend aufgab.
«Es … geht nicht!»
«Gut. Neuer Versuch: Entspannen Sie sich und lassen Sie ganz locker. Ich werde versuchen, Sie an den Beinen herauszuziehen.»
Die warmen Hände der Frau ergriffen Danas Fußgelenke. Als sie jedoch zu ziehen begann, schrie Dana erschrocken auf: Der Druck auf ihrer Schulter verstärkte sich, und sie hatte dasdeutliche Gefühl, dass der Oberarmknochen jeden Moment aus dem Gelenk springen würde.
«Aufhören!», keuchte sie. «Meine Schulter!»
Erneut tasteten die fremden Hände, dann entfernte sich die Stimme der Unbekannten ein wenig, um wieder in ihr Funkgerät zu sprechen.
«Leon? Es gibt Probleme. Sie kommt aus diesem Spalt nicht heraus, ohne sich die Schulter auszukugeln. Ich werde versuchen, die Felszacke zu zertrümmern, unter der sie eingeklemmt ist. Schick mir Hammer und Meißel runter.»
••• 21 : 30 ••• JUSTIN •••
Justin Bringshaus erlebte den schlimmsten Tag seines Lebens – und er schien nicht enden zu wollen. Seit fast zwei Stunden harrte er vor dem Eingang des Bergwerks aus, und während dieser scheinbar endlosen Zeit war ein Schlag nach dem anderen auf ihn niedergegangen.
Der erste Schlag war das Telefonat mit seinem Vater gewesen, der zweite das Eintreffen der Feuerwehr, gefolgt von einem Streifenwagen. Zwei Polizisten hatten ein ernstes Gespräch mit Justin geführt, in dessen Verlauf er wenig mehr getan hatte, als betreten zu Boden zu blicken und auf sein heftig pochendes Herz zu lauschen. In knappen Worten hatte einer der Beamten ihm erklärt, dass die Angelegenheit – unabhängig von ihrem Ausgang – eine Untersuchung nach sich ziehen würde. Das Eindringen ins Bergwerk sei an sich nur eine Ordnungswidrigkeit, die fahrlässige Gefährdung der beteiligten Personen jedoch ein möglicher Straftatbestand. Der Polizist hatte Justins Personalienaufgenommen und sich bei der Angabe des Geburtsjahrs mit dem Kugelschreiber gegen die Zähne getippt.
«Also noch nicht volljährig», hatte er festgestellt, «aber allemal alt genug, um zu wissen, was Sie tun! Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?»
Diese Frage hatte Justin nicht beantworten können. Er rechnete fast damit, auf der Stelle verhaftet zu werden, doch die Polizisten hatten sich einstweilen abgewandt. Einer war zu Justins Vater hinübergegangen, der andere hatte ein Gespräch mit dem Einsatzleiter der Rettungskräfte begonnen. Wenig später waren die Ordnungshüter verschwunden. Es gab für sie nichts weiter zu tun. Vorläufig.
Der dritte Schlag war die Ankunft von Danas Mutter gewesen. Zum Glück hatte Laura es übernommen, sie anzurufen – von Justins Handy aus, denn ihr eigenes hatte sie bei der überstürzten Flucht in der Bergwerkskammer liegenlassen. Als der himmelblaue Golf auf den Parkplatz eingebogen war, hatte Justin sich vor Angst und Scham fast übergeben müssen und verzweifelt gewünscht, einfach unsichtbar zu werden. Natürlich kannte er Ludmila Novak, denn Dana hatte ihn einige Male mit zu sich nach Hause genommen. Allerdings war die korpulente kleine Frau mit dem verhärmten Gesicht nicht begeistert von ihm gewesen. Danas Mutter misstraute Männern ganz
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