Das Geflecht
allgemein, was vermutlich daran lag, dass ihr eigener Ehemann ein Trinker gewesen war und sie noch während ihrer Schwangerschaft verlassen hatte. Entsprechend argwöhnisch beäugte sie den ersten festen Freund ihrer Tochter, um deren Wohl sie übermäßig besorgt war. Für Ludmila Novak schien sich die ganze Welt verschworen zu haben, ihr zartes Pflänzchen in Gefahren zu stürzen, und Justin war Teil dieser Verschwörung. Schon oft hatte sie Dana gewarnt, es könne ihr in Begleitung ihres leichtsinnigen jungen Freundes irgendeinUnglück zustoßen – und nun hatte sich ihre Befürchtung bewahrheitet. Diese Erkenntnis hatte Justin am schwersten niedergedrückt, als Ludmila Novak aus dem Wagen gestiegen und ihm entgegengekommen war, begleitet von Danas Onkel, ihrem einzigen Verwandten.
«Kümmere dich um sie!», hatte sein Vater ihm barsch zugeraunt, um sich dann rasch zurückzuziehen.
Derart in Bedrängnis gebracht, hatte sich Justin völlig außerstande gefühlt, den Angehörigen seiner Freundin irgendein tröstliches Wort zu sagen. Nicht einmal eine Entschuldigung hatte er über die Lippen gebracht, denn keine der üblichen Formeln drückte auch nur annähernd das aus, was er empfand. Am liebsten hätte er Danas Mutter in die Arme genommen, die ebenso schlecht aussah, wie er selber sich fühlte. Als nach einem Augenblick betretenen Schweigens der Einsatzleiter der Feuerwehr hinzugekommen war und die Novaks in ein Gespräch verwickelt hatte, war Justin erleichtert gewesen – und schämte sich gleichzeitig dafür.
Danach hatte er sich zurückgezogen und begonnen, an der Böschung nahe dem Bergwerkseingang auf und ab zu gehen, wobei er bewusst Abstand zu den Menschen hielt, die sich am Tor versammelt hatten. Die Ankunft der Höhlenexpertin, die von seinem Vater engagiert worden war, hatte Justin nur von fern beobachtet. Seine Hilflosigkeit quälte ihn noch mehr als das Schuldgefühl, da er es gewohnt war, Probleme durch beherztes Anpacken zu lösen. Justin glänzte in allem, was Mut erforderte, ob es nun darum ging, ohne Führerschein Auto zu fahren, seine Handballmannschaft zum Sieg zu führen oder auch nur einem wildfremden Kerl, der sich auf der Straße über Danas breite Hüften mokiert hatte, gehörig die Meinung zu sagen. Aber jetzt war sein Mut nichts wert. Ihm blieb nur, abzuwarten, zu bangen und zu hoffen.
Irgendwann, nach einer schier endlos langen Zeit, kam Laura zu ihm herübergelaufen. Ihre Augen flackerten hell vor Aufregung.
«Justin! Sie sagen, dass Dana unverletzt ist und nur einen leichten Schock hat!»
Justin stöhnte. Ihm wurde plötzlich schwindelig, denn die Erleichterung ließ ihm das Blut in die Beine sacken, sodass er sich an einen nahen Baum lehnen musste.
«Finn ist schon auf dem Weg nach draußen!», rief Laura atemlos. «Er muss jeden Moment da sein. Komm schnell!»
Vor dem Bergwerkstor war Bewegung entstanden: Die Wartenden wichen zurück und machten Platz für zwei Rettungshelfer, die eilig mit einer Trage ins Freie drängten. Auf der Trage lag Finn. Justins Herz sprang ihm in die Kehle, als er zusammen mit Laura auf ihn zu rannte.
«Aus dem Weg bitte!», herrschte der Notarzt die Umstehenden an, doch Laura ignorierte ihn und lief an der Seite der Trage mit.
«Finnie! Oh Gott – dein Bein!»
Finns Augenlider flatterten. «Kommt schon wieder in Ordnung», brachte er unter sichtlichen Schmerzen hervor.
«Und was ist mit deinem Gesicht passiert?»
Nun bemerkte auch Justin, dass Finns Wangen geschwollen und mit schwärzlichem Flaum bedeckt waren.
«Wir wissen es noch nicht», sagte der Notarzt knapp, wobei er auf einen der Rettungswagen zustrebte und den Helfern bedeutete, die Tür zu öffnen. «Und jetzt treten Sie bitte zurück!»
Während zwei Männer die Trage ins Innere des Notarztwagens wuchteten, fing Justin den Blick seines Freundes auf.
«Die Schlangen», raunte Finn undeutlich. «Es sind Tausende dort unten … Giftschlangen …»
«Er phantasiert nur.» Der Notarzt drängte Justin beiseite, um seinem Kollegen im Wagen Instruktionen zuzurufen. Dann knallte er die Türen zu, und das Einsatzfahrzeug setzte sich ohne Sirene, aber mit blitzendem Blaulicht in Bewegung.
«Was ist mit Dana?», fragte Justin, doch der Notarzt wandte sich ab und ging auf Danas Mutter zu, die mit einer unbekannten Frau zusammenstand. Justin und Laura folgten ihm zaghaft auf Hörweite.
«Ihrer Tochter geht es den Umständen entsprechend gut», berichtete der Arzt. «Das sagt
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