Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
Vom Netzwerk:
über dem Wasser
Ach, Ostwind, kalt und böse
Neidest dem Frühling die Pracht
Gierig greifend zerstörst du den Zauber
Die zarte Blüte erfriert im Schnee
Ostwind, eisiger Herrscher
Nordkalt dein Atem. Im Eiseshauch
Gefriert zarter Blütenzauber, erstickt und stirbt.
    Sie brütete über den Zeilen, verglich sie mit den anderen beiden Gedichten. Ostwind. Immer wieder der böse, kalte Ostwind. Blüten und Zauber, ein Gefangener, der in einem Gefäß gefangen gehalten wurde. Pippa runzelte die Stirn. Wie konnte jemand in einen Topf oder Krug passen? Das musste schon ein riesiges Gefäß sein – oder ein sehr kleiner Gefangener.
    Sie schloss die Augen. Ein Krug. Er war verschlossen. Wenn man ihn öffnete, quoll Rauch heraus, der empor und immer höher emporstieg … Sie schrak zusammen und öffnete die Augen, das Bild verflog. Jemand kam die Treppe herauf. Ihr Vater, er kam und wollte sie holen!
    Die Tür flog auf. Ein Windstoß, kalt und frisch. »Pippa?«
    »Gustl«, rief sie erleichtert aus. »Oh, ich dachte schon – ich habe gefürchtet …«
    Er war bei ihr und nahm ihre Hand. Besorgte dunkle Augen musterten ihr Gesicht. »Geht es dir gut?«
    »Mir geht es gut«, beruhigte sie ihn.
    August ließ sich neben sie fallen und wischte mit einer schnellen Bewegung die Haare fort, die ihm in die Stirn fielen. Von seinem mutigen Dazwischengehen bei dem schrecklichen Streit hatte er eine Schramme an der Schläfe davongetragen.
    »August«, sagte Pippa mitleidig und hob die Hand. Sie berührte sacht die Verletzung. »Soll ich dir Salbe holen?«
    Er schüttelte den Kopf und zog vorsichtig ihre Hand an seinen Mund, um einen schüchternen Kuss darauf zu hauchen.
    Pippas Gesicht wurde heiß. »Gustl«, sagte sie verlegen. »Nicht.«
    »Du hast gesagt, ich hätte dich beschützt.«
    »Das hast du doch auch.«
    Er focht einen kurzen Kampf mit sich aus. Seine Lider zuckten, dann beugte er sich vor und drückte einen hastigen Kuss auf Pippas Lippen.
    Sie öffnete überrascht den Mund, um zu protestieren, aber seine sanfte Berührung und die weiche Unbeholfenheit seines Kusses überrumpelten sie. Dies hatte nichts mit den Küssen zu tun, mit denen Lancelot sie immer überfiel. Augusts schüchterner Versuch war so süß und weich und unschuldig wie der Kuss eines Kindes.
    Pippa ließ zu, dass er seinen Arm um sie legte, neigte sich seinem Gesicht entgegen und zeigte ihm, wie ein Kuss durchaus weniger kindlich und unschuldig ausfallen konnte.
    August riss erstaunt die Augen auf, aber dann ließ er ein erfreutes Geräusch hören, das wie das Schnurren einer großen Katze klang. Er umfasste Pippa beherzter und legte sich ins Zeug, ihr zu beweisen, dass er ein gelehriger Schüler war, auch wenn das alte Weißgesicht etwas anderes behauptete.
    Das Licht des Nachmittags schwand. Auf dem Vorplatzkündigte ein lauter Trommelwirbel den baldigen Beginn des Abendprogramms an.
    Pippa und August, die Hand in Hand nebeneinandersaßen und den Geräuschen des Theaters lauschten, zuckten zusammen. »Ich muss zur Vorstellung«, sagte August und sprang vom Sofa.
    Pippa schaute zu ihm auf. »Und ich sollte nach Hause gehen, ich kann ja schlecht schon wieder hier übernachten.« Sie seufzte und erhob sich. Die Aussicht, ihrem Vater zu begegnen, machte ihr Herz schwer.
    August, schon halb aus der Tür, drehte sich noch einmal um. »Morgen, nach der Nachmittagsvorstellung, unternehmen wir einen Ausflug«, sagte er entschlossen. »Wir schauen uns die Residenz an, nur du und ich. Ich frage den Prinzipal, ob er es uns erlaubt. Ja?«
    Sie lächelte ihn an. »Das ist eine schöne Idee, Gustl. Ja, das möchte ich gerne machen. Bis morgen?«
    »Bis morgen.« Er warf ihr eine Kusshand zu und sprang die Stufen hinunter.
    Pippa rollte sich auf dem Sofa zusammen und malte sich den Ausflug mit August in allen Farben aus, bis der anschwellende Lärm auf dem Platz ihr das Ende der Vorstellung meldete.
    Sie sprang auf, faltete die Decke zusammen und spülte ihren Becher aus, dann verließ sie den Wagen des Kochs.
    Es war dämmrig, die Öllampen am Theatereingang brannten und auf dem Platz loderten die Fackeln. Das gelbe Licht der Lampen ließ das tiefe Blau der Dämmerung noch leuchtender erscheinen. Pippa kreuzte die Arme vor der Brust und schaute eine Weile den Menschenzu, die zum Ausgang drängten, vorbei an ein paar Artisten, die Feuer spuckten und Handstände machten, Räder schlugen und sich gegenseitig in die Höhe stemmten. Mitten in dem Gewühl war Zarter

Weitere Kostenlose Bücher