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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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sonst so beeindruckende Präsentation kaum die ersten beiden Reihen erreichte.
    Warum ist das Publikum trotzdem so gebannt?, fragte sich Pippa. Es hätte unruhig sein müssen, hämisch lachen über die danebengegangenen Nummern, mit den Fingern zeigen oder unruhig mit den Füßen scharren, vielleicht sogar einfach gehen … Aber die Leute saßen wie festgenagelt auf ihren Stühlen und verfolgten ohne Mucks, wie Lorenzo sich von Panne zu Panne hangelte, sich verhaspelte, Dinge fallen ließ und beinahe über seine eigenen Füße stolperte.
    Pippa war erleichtert, als Lorenzo erkennen ließ, dass er an diesem Vormittag den Teil seines Programms auslassen wollte, in dem er sich sonst Leute aus dem Publikum auf die Bühne holte. Er machte sich für die Schlussnummer bereit, und Pippa stand schon an der Seite, um den Schrank hereinzuschieben. Die einfache Verschwindenummer. Das würde in jedem Fall klappen, weil sie dabei die Hauptarbeit verrichtete – nämlich das Sich-Zwängen in ein Gelass, das hinter einem schräg gestellten Spiegel verborgen war.
    Sie sah ihrem Vater ins Gesicht, um sein Zeichen nicht zu verpassen, und erschrak. Der Glanz seiner Augen war unnatürlich hell und leuchtend grün, als hätte er zwei kleine Lampen dahinter angezündet. Auch sein Gesicht erschien wie von einem leuchtenden Schleier überzogen.Er stand halb im Lampenlicht, halb im Schatten, und in der Dunkelheit über seinem Kopf konnte Pippa grün wabernden Nebel erkennen, der sich drehte, tanzte und wiegte wie ein lebendiges Ding. Jetzt öffnete der Zauberer den Mund, um die letzte Nummer anzukündigen, und zwischen seinen Lippen drang grüner Dunst hervor. Pippa glaubte, den scharf-süßen Anisgeruch riechen zu können.
    »Die letzte Nummer«, verkündete der Magier. »Hochverehrtes Publikum, applaudieren Sie meiner großartigen Assistentin, die sich nunmehr in Lebensgefahr begeben wird …« In seiner Hand erschien ein glänzendes Schwert.
    Pippa schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Papa«, flüsterte sie.
    Er sah sie nicht an, winkte kurz mit der Hand, als würde er ihr das Zeichen zum Auftritt geben. Pippa bewegte die Lippen, aber ihre Stimme versagte. Sie schloss die Augen. Nicht auch noch stumm, schrie sie innerlich. Papa, das kannst du mir nicht antun!
    Die Kiste mit den schmalen Schlitzen rollte herein. Der Korb mit den Schwertern stand daneben. Die Kiste öffnete sich. Pippa wollte von der Bühne laufen, da lag sie schon in der Kiste, der Deckel knallte zu, die Riegel schnappten ein. Sie lag im Dunkeln, nur schwaches grünes Licht drang durch die Schlitze.
    Pippa hörte, wie Lorenzo dem Publikum erklärte, was er gleich tun würde, sie hörte, wie er mit dumpfem Schlag den Kohlkopf zerteilte, und erwartete das erste Schwert. Das scharfe.
    Es kam zu schnell und schrammte hart an ihrer Schulter vorbei, ehe sie ihm richtig ausweichen konnte. Das tat weh, aber Pippa konnte keinen Laut von sich geben. Sie ächzte stumm, eine Träne lief aus ihrem Augenwinkel und kitzelte an ihrer Nase. Sie blinzelte. Das grünlich wabernde Licht, das durch die Schlitze schien, erschien ihr seltsam. Sie blinzelte wieder, wollte den Schleier von ihren Augen vertreiben, und erkannte, dass der grüne Nebel begann, sich in ihr Gefängnis zu drängen.
    Sie hatte keine Zeit, sich davor zu fürchten, denn das zweite Schwert wurde durch den Kasten gesteckt. Sie presste ihre schmerzende Schulter gegen das harte Metall des ersten Schwertes und griff nach dem zweiten Schwert, einem der biegsamen, um es an ihrer Hüfte vorbei in den Austrittsschlitz zu führen.
    Es war unnachgiebig und scharf, und sie zerschnitt sich die Finger daran.
    Der Schrei, den sie ausstoßen wollte, blieb stumm. Grüner Nebel wallte um ihren Kopf und schien sie zu verspotten. Der Anisgeruch ließ sie würgen, und der Schmerz in ihrer blutenden Hand trieb ihr die Tränen in die Augen. Aber sie hatte keine Zeit, irgendetwas zu tun, denn das dritte Schwert kam und zwang sie, sich in die Brücke zu stemmen. Ihr linkes Bein war eingeschlafen und reagierte träge, und das Schwert schnitt heiß daran entlang. Blut lief ihr am Schenkel herunter.
    Das nächste Schwert, wo würde das nächste Schwert sie verletzen? Pippa zwang ihren panisch kreischenden Verstand, sich zu konzentrieren. Das nächste Schwert würde sie seitlich in Brusthöhe treffen. Sie presste sich nochfester gegen den unnachgiebigen Stahl in ihrem Rücken und krümmte sich so weit zusammen, wie die Schwerter es zuließen. Dabei

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