Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
Vom Netzwerk:
Blütenzauber zu sehen. Er stand da wie ein Fels und verbog mit melancholischer Miene Hufeisen und Eisenstangen, während die vorüberströmenden Leute einen Augenblick vor ihm stehen blieben und voller Erstaunen ›Aaaaah‹ und ›Ooooh‹ riefen.
    Der Platz leerte sich langsam. Pippa fröstelte und rannte hinüber zu Lorenzos Wohnwagen, die Stufen hinauf und öffnete die Tür. Sie trat leise ein und schloss die Tür so behutsam, dass nur ein winziges Schnappgeräusch verriet, dass jemand in den Wagen gekommen war.
    Im Ofen glühte eine Handvoll schwarz verkohltes Holz. Die Wärme gelangte nicht bis zur Tür, und der rötliche Schein beleuchtete schwach eine Gestalt, die im Sessel neben dem winzigen Tisch ruhte. Lorenzos blasses Gesicht schimmerte grünlich aus dem Dunkel wie das kranke Leuchten eines faulenden Baumstammes. Pippa konnte seine Hand sehen, die reglos neben einem kleinen Wasserglas auf dem Tisch ruhte. Seine Augen waren dunkle Höhlen, in deren Tiefe ein schwacher kaltgrüner Funke glomm.
    Ein grünlicher Nebel lag über dem Raum und hüllte den Sitzenden ein. Es roch scharf und süß nach Anis.
    Pippa fröstelte wieder. Sie schlich zu ihrer Hängematte, die schlaff an einem Haken baumelte, und zog sie straff. Hier, in der hintersten Ecke des Wagens, war es klamm und dunkel. Der grünliche, nach Anis riechendeNebel waberte langsam heran und streckte feine, zerfasernde Tentakel nach ihr aus. Pippa schloss die Augen. Da ist nichts. Ich bin müde und überreizt. Es gibt keinen Nebel in unserem Wohnwagen.
    Als sie die Augen öffnete, war die Erscheinung verschwunden. Sie schüttelte sich kurz und schüttelte ihre Decke und das Kissen auf.
    Hinten beim Ofen raschelte es. Lorenzo bewegte sich träge. Seine Hand tastete nach dem Wasserglas und schob es beiseite. »Morgen treten wir in der Matinee auf«, schnitt seine Stimme unvermutet durch den düsteren Raum, sie klang schleppend und müde. Pippa zuckte zusammen. »Wir zeigen nur das, was wir schon geprobt haben. Schlaf jetzt.«
    »Ja, Papa«, flüsterte sie, schlüpfte aus ihrem Rock und faltete ihn ordentlich zusammen. Sie fror in ihrem dünnen Hemd und schlüpfte schnell unter die Decke. Die Hängematte schaukelte sacht.
    Sie hörte, wie etwas leise klirrte. Lorenzo beugte sich vor und schenkte aus einer schlanken Flasche helle Flüssigkeit zwei Finger hoch in sein Glas. Er goss einen Schluck Wasser dazu und das Glas begann geisterhaft zu leuchten. Der grüne Nebel stieg daraus auf und ballte sich über Lorenzos regloser Gestalt zusammen.
    Pippa zog die Decke über den Kopf.
    *
    Der Zuschauerraum war dunkel, nur ein leises Rascheln und Hüsteln, Flüstern und Füßescharren und die hellenFlecken der emporgewandten Gesichter verrieten, dass die Matinee bis zum letzten Platz ausverkauft war.
    Pippa stand etwas außerhalb des Lichtkreises und fror in ihrem kurzen Röckchen und dem engen, ärmellosen Mieder. Durch die Gasse, vor der sie stand, wehte ein kalter Luftzug und jagte eine Gänsehaut über ihre bloßen Arme und Schultern.
    Vor ihr stand Lorenzo und ließ mit einer schnellen Bewegung den Umhang von seinen Schultern in ihre ausgebreiteten Arme gleiten. Er hob die Hände und zauberte ein Meer von Papierrosen auf die Bühne. Pippa schloss für einen Moment die Augen. Er tat es schon wieder! Das war ein einfacher Trick, den sogar sie im Schlaf hätte ausführen können, aber er benutzte dafür echte Magie.
    Sie zwang sich zu einem Lächeln und brachte den Mantel weg. Dann kehrte sie zurück und ließ sich von der gewohnten Routine durch den Ablauf des Auftritts tragen. Das Publikum war still und folgte gebannt den auftauchenden und verschwindenden Gegenständen, gab staunende und anerkennende Ausrufe von sich, applaudierte den gelungenen Tricks und lachte, wenn Lorenzo einen Witz machte. Es lief auf den ersten Blick alles, wie es sollte. Pippa fühlte, wie ihr der Schweiß herunterlief. Nichts lief, wie es sollte. Lorenzos Hände zitterten so unkontrolliert, dass er jeden Trick verdarb, der auf Fingerfertigkeit beruhte. Er ließ Karten, die er hervorzaubern wollte, verräterisch zu Boden fallen, er warf das Glas um, aus dem das wundersam verwandelte Wasser hätte sprudeln sollen, eins der Kaninchen sprang ausseinem verborgenen Fach in dem chinesischen Kästchen und hoppelte über die Bühne, und Pippa musste ihm hinterherlaufen, um es wieder einzufangen. Dazu kam, dass Lorenzo heute so undeutlich sprach, ja geradezu nuschelte und flüsterte, dass seine

Weitere Kostenlose Bücher