Das gefrorene Lachen
Hosenträgern und er leckte sich fahrig über die Lippen.
»Die Bühnenprobe«, wisperte Pippa, der mit einem Mal ganz schummerig und leicht im Kopf wurde. Ihre Knie begannen zu zittern und das Theater schwankte vor ihren Augen wie ein Schiff bei schwerem Seegang. »Sie haben sich um die Bühne gestritten.« Sie blinzelte, und wieder sah sie ihren Vater, wie er die Hände in die Kehle des Weißclowns krallte; Alonso, wie er mit dem Schwert auf Lorenzo losstürmte. Das Schwanken wurde zu einem schwindelerregenden Wirbeln und Kreiseln. Donnernder Lärm dröhnte in ihren Ohren, der Bühnenboden bebte. Durch all das Schwanken und Kreiseln sah sie, wie der Prinzipal einen Satz rückwärtsmachte und auch Lorenzo und der Weißclown erschreckt zur Seite wichen. Ehe sie sich’s versah, fühlte Pippa sich eingehüllt von Bratkartoffelgeruch und einem festen, tröstlichen Griff, der sie an eine zwiebelduftende Schürze drückte.
»Hohoooo«, hörte sie den Prinzipal ausrufen, als spräche er zu einem tobenden Pferd. »Ruhig, Zarter. Deinem Mädchen ist nichts geschehen.«
Alles spielte sich in weiter Ferne ab, als schaute sie durch ein umgedrehtes Fernrohr. Pippa drehte schildkrötenhaft langsam ihren Kopf und beobachtete aus der schützenden Umarmung des massigen Kochs, wie der Prinzipal besänftigende Gesten mit den Händen machte. Wenn ihr nicht so schwindelig gewesen wäre, hätte sie gelacht. Im Gesicht des Prinzipals und in den Augen ihres Vaters konnte sie die Furcht vor dem in Rage geratenen Kraftmenschen lesen. Zarter Blütenzauber war leicht in der Lage, jeden von ihnen mit einem beiläufigen Klaps zu erschlagen oder kurzerhand einen dertragenden Pfeiler des hoch aufragenden Bühnenhauses mit einem Tritt aus der Verankerung zu reißen und alles über ihren Köpfen zusammenkrachen zu lassen. Das wussten sie, und deshalb waren sie so erschreckt wie kleine Jungen, über die aus heiterem Himmel ein Gewitter hereinbrach.
»Lass mich runter«, flüsterte sie in die Schürze des Kochs. Sie fühlte, wie seine Muskeln sich anspannten. Er atmete keuchend, als wäre er eine lange Strecke gerannt. »Es ist gut, Zarter. Danke. Mir geht es gut.«
Er gab ein stöhnendes Geräusch von sich, das tief in seiner Kehle gurgelte. Es war das erste Mal, dass sie ihn einen Laut ausstoßen hörte, und das erschreckte sie beinahe noch mehr als der blutige Streit zwischen Lorenzo und dem Weißclown. Pippa befreite ihre Hand und legte sie um das Handgelenk des Kochs. »Alles ist gut, Zarter«, bekräftigte sie etwas lauter. »Ich bin unverletzt. Niemand hat mir etwas getan.«
Der Koch drückte sie noch fester an sich und stöhnte wieder. Die Männer machten gleichzeitig einen großen Schritt zurück und der Prinzipal rief: »Ganz ruhig, Zarter Blütenzauber! Beruhige dich!«
Pippa klopfte fest auf den Bauch des Kochs, um seine Aufmerksamkeit zu wecken. »Ich war nicht allein. August hat auf mich aufgepasst.«
Der feste Griff lockerte sich. Der Koch atmete immer noch schwer, aber er stellte Pippa behutsam auf den Boden und ließ sie los.
Pippa blickte in sein riesiges rundes Gesicht, das tränenüberströmt war. Sie holte das Tüchlein aus der Tasche,das ihr Vater vorhin zurückgewiesen hatte, stellte sich auf die Zehenspitzen und wischte seine Wangen trocken. Er blinzelte und sah sie an.
»Wie rührend«, kratzte die Stimme des Weißclowns durch die Stille. »Sind die beiden nicht ein entzückendes Paar? Dummer August, du solltest dein Herz nicht an das Mädchen hängen – sie gehört dem Koch!« Er lachte misstönend.
Pippa beachtete ihn nicht. Sie blickte immer noch in das große Gesicht des Kochs. Seine Augen, weit aufgerissen und voller Angst und Zorn, nahmen langsam wieder ihren normalen Ausdruck an. Er nickte ihr zu und versuchte ein Lächeln, das ein wenig gequält wirkte. Er nahm ihre Hand und drückte sie sanft. Alles wieder gut, sagte der Druck seiner Finger. Vergib mir.
»Was sollte ich dir vergeben?«, fragte Pippa verblüfft.
Er rieb sich über die Nase und legte den Finger gegen seine Wange, während er den Kopf schief legte. Ich kam zu spät. Ich habe dich nicht beschützt.
»Das ist nicht deine Aufgabe«, erwiderte Pippa. »Außerdem war August bei mir. Er hat mich beschützt.«
Der Weißclown lachte schrill auf, und Lorenzo murmelte etwas, was sie nicht verstand. Es klang nicht freundlich.
»Gut, also dann!« Der Prinzipal hatte sich von dem Schrecken erholt und wischte sich mit einem großen Taschentuch den
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