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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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holen?«
    Mit einem erbitterten Laut warf der Wirt sein Spültuch auf den Boden und knallte die Küchentür hinter sich zu.
    »Sperrstunde, liebe Gäste«, rief die Wirtin bemüht munter. »Ich bitte um die letzten Bestellungen. Wir schließen gleich!«

17
    Blast, Wind’ und sprengt die Backen! Wütet! Blast!
    König Lear
    Der weißhaarige Mann schloss die Tür hinter ihnen ab und räusperte sich. »Wo setzen wir uns hin?«, fragte er sich und rieb den Zwicker am Ärmel seiner dunklen Jacke sauber. So ruhig er in der Gaststube noch gewirkt hatte, so fahrig erschienen seine Bewegungen jetzt.
    Er klemmte den Zwicker wieder auf die Nase und wies auf einen wackligen Tisch, der zwischen Kisten und Körben, Fässern und gestapeltem Holz klemmte.
    Pippa ließ den Blick durch das düstere große Zimmer wandern. Es wurde anscheinend schon lange nicht mehr als zweiter Gastraum genutzt, obwohl es das einmal gewesen sein musste. An seinem hinteren Ende waren Stühle gestapelt und drei Tische standen hochgelehnt an der Wand daneben.
    »Ich hole uns Stühle«, sagte August und durchquerte den Raum. Er hob mit jeder Hand einen Stuhl auf und drehte sich um. Pippa fing den entsetzten Blick des alten Mannes an ihrer Seite auf. »Bitte, nein«, stammelte er. »Nicht, ich kann das doch selbst, das sollte nicht Eure Aufgabe sein, ich bitte Euch!«
    August hatte die Stühle schon durch das Zimmer getragen und an den Tisch gestellt. »Bitte schön«, sagte er.»Pippa, warte, du machst dich schmutzig.« Er wischte mit dem Ärmel seiner Joppe über den Sitz und schob ihn Pippa hin. Wieder quollen dem älteren Mann die Augen aus dem Kopf. Er hustete und ließ sich schwer auf seinen Stuhl sinken.
    »Bitte vergebt mir«, sagte er leise. »Das ist alles sehr aufregend, und ich bin, wie ihr seht, kein junger Bursche mehr.« Er zog ein sauberes Schnupftuch aus der Rocktasche und fuhr sich damit über Mund und Wangen.
    »Nun denn«, sagte er aufatmend, »seid so gut und erklärt einem alten Lehrer, was damals wirklich geschehen ist.«
    Pippa wusste nicht, was er von ihnen wollte. Sie sah August fragend an, der mit den Achseln zuckte. »Was wann geschehen ist?«, fragte sie zurück.
    »Damals«, sagte der Lehrer, »als unser guter König Ferdinand verschwand und diesen, diesen …« Er suchte vergeblich nach Worten, hob in einer hilflosen Geste die Hände und ließ sie wieder sinken. »Als sich alles veränderte. Als die Tick-Tacks auftauchten und jede Freude aus unserem Leben verschwand. Kein Theater mehr. Keine Musik.« Er schüttelte den Kopf und versank offenbar in Erinnerungen.
    Pippa hüstelte. »Bitte, Herr Lehrer. Ich bin nicht weniger verwirrt als Sie. Die Leute dort draußen und auch Sie scheinen mich mit jemandem zu verwechseln …« Sie verstummte, weil das ja nicht stimmte. Sie hieß Philippa und ihr Vater war Zauberer. Gut, »Laurentio« war nicht »Lorenzo«, aber doch immerhin ähnlich genug.
    »Hofzauberer«, sagte sie unwillkürlich. »Was tut einHofzauberer?« Sie hatte die Vision von einem Magier in Frack und Zylinder, der in einem ansonsten leeren Thronsaal vor einem gelangweilten Monarchen Tauben und Kaninchen aus dem Ärmel zog und Kartentricks vorführte.
    Der alte Mann schüttelte ungläubig den Kopf. »Du hast bei mir Unterricht genommen«, sagte er. »Du warst eine sehr gelehrige Schülerin, es gibt nicht viele in deinem Alter, die das Buckelhorn in den Griff bekommen. Ein widerspenstiges Instrument, fürwahr.« Er schüttelte wieder den Kopf. »Dann ist das Schreckliche geschehen. Das Schloss war verschwunden, es stand ein anderes an seiner Stelle, der König hatte angeblich abgedankt und war mit seiner Familie nach Perancis gezogen, und alle aus dem Schloss sind anscheinend mit ihm gegangen, denn wir haben niemanden von ihnen jemals wieder zu Gesicht bekommen. Nicht deinen Vater, der regelmäßig hier eingekehrt ist – wir haben viele Partien Krabbe und Wiesel miteinander gespielt –, und nicht deinen lieben Onkel, den Haushofmeister, der auch gelegentlich bei mir vorbeigeschaut hat. Meine Frau weint ihrer Freundin nach, der guten Frau Katrin, die in der Schlossküche gearbeitet hat. Ach, diese und so viele andere, die ohne ein Wort des Abschieds einfach verschwunden sind. Viele Familien hier in der Residenz vermissen seitdem einen ihrer Lieben.« Er wischte sich mit dem Daumen über die Lider und zog erneut sein Schnupftuch hervor, um sich kräftig zu schnäuzen.
    August, der ebenso verständnislos gelauscht hatte

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