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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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Holzbalken und langte schließlich am Fuß der Treppe an, die hinauf in den Schnürboden führte.
    Ohne zu zögern, begann sie die Treppe hinaufzusteigen. Sie kletterte durch die sausende, jaulende, orgelnde Dunkelheit, denn der starke Wind pfiff durch alle Ritzen und Öffnungen des Bühnenhauses. Die Treppe schwankte ein wenig und die Stufen waren kaum zu erkennen, deshalb hielt Pippa sich lieber gut fest.
    »Gadshill«, rief sie leise, als sie den Schnürboden erreicht hatte. Sie klammerte sich an einen Balken und hielt sich mit der anderen Hand an einem Tau fest. So musste es sein, wenn man in finsterer Nacht in der Takelage eines großen Segelschiffs unterwegs war, dachte sie. Es schwankt und der Wind pfeift, die Kleider flattern und alles rundum ist in Bewegung. Nur das Rauschen der Wellen fehlte.
    Das Klatschen ledriger Flügel riss sie aus ihrer Illusion. Ein Schatten segelte über ihren Kopf und dann landete einer der Wasserspeier vor ihr auf dem Balken und faltete die großen Flügel zusammen. Grünlich glimmende Augen blickten zu ihr auf. »Philippa Saffronia«, sagte Gadshills steinige Stimme. »Wir haben dich vermisst.« Er kam im Watschelgang näher. »Du hast uns beinahe nach Hause gebracht«, sagte er. »Wir sind geflogen, um die Türme zu finden. Ach, der Südturm.« Er hockte sich auf seine Hinterbeine und kratzte sich ausgiebig mit einer scharfen Kralle am Genick. »Er ist weg«, fuhr er betrübt fort. »Die Stelle, wo er stehen müsste, ist zwar noch da, aber etwas anderes steht darauf. Etwas, was nach Bosheit stinkt.« Er öffnete den Mund und streckte die Zunge weit heraus, als würde ihm bei dem Gedanken daran übel.
    Wieder klatschten Schwingen, dann bebte der Balken, weil ein schwerer Körper darauf landete. »Ach, der Nordturm«, klagte Archidamus grollend. Seine Augen leuchteten gelb wie Katzenaugen. »Zauberlehrling, du musst etwas unternehmen.«
    Pippa lehnte sich gegen eine Verstrebung und zog die Beine an. »Wo habt ihr gesucht?«, fragte sie.
    Gadshill begann ihr zu erklären, wie sie geflogen waren, aber Pippa merkte schnell, dass ihr das kaum half. »Das Schloss«, warf Archidamus ein. »Du musst doch wissen, wo das Schloss ist.«
    »Wo es war«, unterbrach eine dritte, flötenähnliche Stimme. »Unser Schloss ist fort, Philippa. Ganz und gar verschwunden. Ein dunkelschwarzes bösböses Ding steht jetzt dort. Mach es bitte weg, Philippa.«
    Eine dritte Gestalt hüpfte näher, blau glänzende Augen schauten sie bittend aus einem struppigen Vogelgesicht an.
    »Chiron, Spatzenhirn«, polterte der massige Archidamus. »Der Zauberlehrling kann uns nicht helfen. Sie ist zu dumm dazu.«
    »Böser Archidamus«, fiepte der kleine Wasserspeier und hob eine seiner Tatzen, als wollte er den großen schlagen. »Böser, fieser Archidamus. Philippa kann das wohl.«
    »Lass Chiron in Ruhe, Archidamus«, mischte Gadshill sich in den Streit der beiden. Er hörte auf, sich zu flöhen, und breitete drohend die Flügel aus, aus denen lange, spitze Daumendornen ragten.
    Der große Wasserspeier öffnete fauchend das Maul,und Pippa erblickte mehr Zähne, als sie je in irgendeinem Mund gesehen hatte.
    »Seid lieb«, sagte sie streng. »Ruhe, ihr beiden. Ich muss nachdenken.« Sie lehnte den Kopf an den Querbalken und schloss die Augen.
    »Sie muss nachdenken«, wisperte Chiron. »Das ist gut, nachdenken. Ich mache das auch manchmal.«
    »Du Erbsenkopf«, grummelte Archidamus gedämpft.
    »Halt dein Maul«, flüsterte Gadshill.
    Pippa ignorierte das Gezänk der drei und grübelte über das Verschwinden der Türme nach oder besser gesagt: über das Verschwinden des ganzen Schlosses. Der Lehrer hatte erzählt, dass an seiner Stelle nun ein anderes, schwarzes, unheimliches Gebäude stand, das keiner der Bewohner der Residenz je betreten hatte – außer natürlich den ominösen Tick-Tacks.
    »Wer wohnt dort im Schloss?«, fragte sie laut. »Habt ihr dort jemanden gesehen?«
    »Kein schönes, liebes Schloss mehr, o nein«, pfiff Chiron. »Bösböses schwarzes Haus, oh, so böse!«
    »Ich habe niemanden dort gesehen«, unterbrach ihn Gadshill mit einem ungeduldigen Knarzen. »Es ist so tot wie der Wald, der rundum steht. Keine Tauben mehr, Philippa Saffronia. Nicht eine einzige saftige Taube. Nur Fledermäuse und hässliche schwarze Vögel, die schlecht schmecken.«
    »Bah«, spuckte Archidamus. »Ekelhaft.«
    »Keine Menschen?«
    »Keine richtigen Menschen«, mischte sich der kleine Chiron eifrig ein. »Sie ticken

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