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Das gefrorene Lachen

Das gefrorene Lachen

Titel: Das gefrorene Lachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ueberreuter
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und sind leer, Philippa.«
    »Böse rote Augen«, knurrte Archidamus.
    »Bösböse«, stimmte Chiron ihm zu.
    Pippa seufzte. Wie sollte sie das Rätsel des verschwundenen Schlosses lösen, wenn an seiner Stelle ein düsteres, unheilvolles Geheimnis aufragte?
    »Bösböses Haus«, flüsterte Chiron. »Bösböser dreimalböser Wind.«
    »Ostwind«, murmelte Pippa. »Der böse Ostwind.«
    »Ostwind«, summte Gadshill.
    »Ostwind«, brummte Archidamus.
    »Bösböser Ostwind«, flötete Chiron. Er hob die Flügel und stieg in die Luft. »Bösböse«, wisperte es von oben.
    »Bah«, spuckte Archidamus aus und ließ sich vom Balken fallen. Es knatterte laut, als er seine Schwingen in den Fallwind stemmte.
    Gadshill legte vorsichtig seine Klaue auf Pippas Bein. »Du wirst uns helfen, Philippa Saffronia?« Das helle Leuchten seiner Augen verglomm zu einem matten Schimmer und erlosch. Der Wasserspeier war fort.
    Pippa saß noch eine Weile im Gebälk des Daches und lauschte dem Sausen des Windes, dessen größte Wut sich gelegt zu haben schien. Das Dach knarrte und wiegte sich immer noch, aber das laute Tosen und Jaulen verklang nach und nach zu einem fernen pfeifenden Singen, das sich anhörte wie die Stimme des kleinen Chiron.
    Die Leiter, die zu ihr hinaufführte, begann zu beben und zu zittern. Der Wind? Nein, es waren Füße, die die Sprossen zum Klingen brachten, ein Gewicht, das die Holme erzittern ließ. Jemand stieg zu ihr herauf.
    Pippa stand auf und balancierte zum anderen Ende des Balkens, hoffte so der Entdeckung zu entgehen. Sie schmiegte sich eng an das Holz und wartete mit weit geöffneten Augen, atmete so leise wie möglich.
    Die Klettergeräusche verstummten. Jemand stand am Kopf der Leiter auf dem Balken und sah zu ihr herüber. Es war ein großer, finsterer Schatten, der reglos dort im Dunkeln stand.
    »Wer ist da?«, fragte flüsternd eine Stimme.
    »Gustl«, sagte sie voller Erleichterung. »Gustl, was machst du denn hier?«
    »Ah«, sagte er, nicht weniger erleichtert. »Du. Ich dachte schon … Ich konnte nicht schlafen, Pippa.«
    »Ich auch nicht.« Sie tastete sich zu ihm hin und er kam auf sie zu. In der Mitte des Balkens trafen sich ihre Hände, berührten sich, schlossen sich umeinander.
    Eine Weile standen sie einfach nur da, atmeten, spürten die Schwingungen, in die der Sturm das Theater versetzt hatte, lauschten ins Dunkle.
    Pippa legte ihren Arm um Augusts Hüfte und lehnte den Kopf an seine Schulter. Sein Arm lag warm und fest um ihre Schultern. »Horch«, flüsterte sie, »die Wasserspeier.« In der Ferne erklangen schrille und heisere Rufe, wortlos, wild und rau.
    »Glaubst du, dass der Lehrer uns helfen kann?«, fragte August.
    Pippa seufzte. »Nein«, gab sie zu. »Das ist unser Rätsel, August. Wir müssen es lösen, und dabei kann uns niemand helfen, noch nicht einmal Zarter Blütenzauber. Aber ich hoffe, dass der Lehrer das erkennt, worauf ichseit Tagen schaue und was immer noch vor mir wegläuft wie eine kleine, ängstliche Maus.«
    August drehte sich ein wenig zu ihr hin und legte auch noch den anderen Arm um sie. »Dir muss doch kalt sein«, sagte er.
    Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen. Pippa beugte sich ein wenig vor und suchte nach seinem Mund, fand ihn ohne Mühe. Wieder standen sie nur da, hielten sich aneinander fest und genossen die tröstliche Gegenwart des anderen.
    »Was ist es, das vor dir wegläuft?«, knüpfte August an Pippas letzte Worte an. »Die drei Gedichte, die anders sind?«
    Pippa ließ ihn los und griff in ihre Rocktasche. Papier knisterte zwischen ihren Fingern. »Ja, die längeren«, erwiderte sie und hockte sich hin. »Schau.« Sie breitete die Zettelchen auf dem Balken aus.
    August lachte. »Ich bin doch keine Eule, die bei Nacht sehen kann.«
    Pippa schnaubte und machte eine schnelle Handbewegung. Ein schwaches, aber ausreichend helles Licht glomm über den Gedichten auf. »Schau«, wiederholte sie.
    August schnappte nach Luft. »Wie hast du das gemacht?«
    Pippa sah nicht hoch. »Wie schon?«, fragte sie ungeduldig und ein bisschen schuldbewusst zurück. »Mein Vater macht das doch auch ständig.«
    »Ja, aber er ist der Zauberer!« August beugte sich vor und hielt die Hand in den Lichtschein. »Ich wusstenicht, dass du das auch kannst. Du bist doch nur seine Assistentin.«
    »Ich kann beinahe alles, was er auch kann«, fauchte Pippa. »Oder willst du sagen, dass Frauen dümmer sind als Männer – August ?« Sie funkelte ihn an.
    Er zog den Kopf ein.

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