Das gefrorene Licht. Island-Krimi
waren, hielten jedoch ihre Polizeimützen in den Händen. Sie reagierten nicht auf Jónas’ Bemerkungen, sondern fragten einfach weiter. »Wann hast du diese Birna zuletzt gesehen?«
»Tja, ich weiß nicht genau«, antwortete Jónas und versuchte, sich zu erinnern. »Gestern war sie auf jeden Fall hier. Das ist klar.«
»Du hast sie also gestern getroffen?«, fragte der Jüngere. Er sah streng aus. Jónas kam mit dem Älteren besser klar; er schien wesentlich umgänglicher zu sein.
»Hä?«, fragte Jónas plump, fügte dann aber hastig hinzu: »Äh, ja. Ich hab sie getroffen. Sogar mehrmals. Sie war mit Vorschlägen für einen Anbau beschäftigt, der hier entstehen soll, und kam öfter zu mir, um mir verschiedene Details zu zeigen.«
Die Polizeibeamten nickten im Takt. Der Ältere nagte eine Weile an der Innenseite seiner Wange und fragte dann: »Und heute? War sie heute auch bei dir?«
Jónas schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Ganz sicher nicht. Heute Morgen wollten wir uns treffen, aber sie ist nicht gekommen. Ich hab nach ihr gesucht, sie aber nirgendwo gesehen. Hab mehrmals versucht, sie auf dem Handy anzurufen, das war aber ausgeschaltet. Da war nur die Mailbox.«
»Was für ein Handy hatte sie? Kannst du es beschreiben?«, fragte der jüngere Mann.
Jónas musste nicht lange nachdenken. Birnas Handy war sehr auffällig. Er hatte sie oft damit gesehen. »Es ist feuerrot, so eins zum Aufklappen. Glänzend. Ziemlich klein. Ich weiß allerdings nicht, von welcher Marke. Auf dem Deckel war ein großes silbernes Friedenszeichen, aber ich glaube, das ist nicht die Marke, sondern nur eine Verzierung.« Die Beamten tauschten einen schnellen Blick und standen gleichzeitig auf. Jónas blieb sitzen. Er fühlte sich etwas sicherer, weil er endlich ohne Stocken eine Frage beantworten konnte. »Diese Frau, die gefunden wurde ... war das ... ein Unfall?«
Keiner der Beamten antwortete. »Würdest du uns bitte zu Birna Halldórsdóttirs Zimmer begleiten?«
Dóra schaute sich ein letztes Mal in Birnas Zimmer um. Sie hatte nichts Interessantes entdeckt. Es war zweifelsohne anders als die anderen Hotelzimmer, da die Architektin sich offenbar für einen längeren Aufenthalt eingerichtet hatte. Mit Haftgummi hatte sie Gebäudeskizzen an der Wand befestigt, offenbar Vorschläge für das neue Gebäude, von dessen Planung Jónas erzählt hatte. Auf den Zeichnungen standen alle möglichen Anmerkungen, einige auch für Laien verständlich, andere nicht. An den Rändern einiger Skizzen waren Berechnungen mit rot unterstrichenen Ergebnissen, ziemlich hohe Zahlen, und Dóra hoffte für Jónas, dass es sich nicht um die groben Kostenvoranschläge handelte.
Den Kleiderschrank hatte Dóra mehr aus Neugier geöffnet, sie rechnete nicht damit, dort etwas Bemerkenswertes zu finden. Sie hatte einen Bleistift durch den Türgriff gesteckt, da sie keine Fingerabdrücke hinterlassen wollte. Sie hätte es ebenso gut bleibenlassen können, denn der Kleiderschrank sagte ihr nicht viel mehr, als dass Birna sehr ordentlich war. Es gab nicht viele Kleidungsstücke; Blusen, schickere Hosen und Jacketts hingen auf Bügeln, die anderen Sachen waren sorgfältig in die Regale einsortiert. Die Frau musste in einer Modeboutique gearbeitet haben, so hübsch war alles zusammengelegt. Birna hatte einen guten Geschmack, die Sachen waren dezent, aber geschmackvoll und schienen eines gemeinsam zu haben: Sie waren teuer. Dóra versuchte, das Markenzeichen am Kragen eines zuoberst liegenden Pullovers zu erspähen, konnte es aber nicht lesen. Sie schloss den Schrank und ging zu dem Telefon, das auf einem der Nachttische stand. Probeweise drückte sie mit dem Fingernagel auf die Taste für die zuletzt gewählten Nummern. Von dem Notizblock neben dem Telefon riss sie ein leeres Blatt und notierte die Nummern. Es waren drei. Sie faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Hosentasche.
Dann ließ sie ihren Blick durchs Zimmer schweifen, sah jedoch nichts, was sie näher hätte begutachten wollen, bis auf die Schreibtischschublade. Die Papiere auf dem Schreibtisch hatte sie leicht angehoben, was sie aber auch nicht weitergebracht hatte, überwiegend Prospekte aller möglichen Hersteller unterschiedlicher Baumaterialien. Dóra schob den Schreibtischstuhl mit dem Fuß beiseite, um an die Schublade zu gelangen. Jetzt benötigte sie ihre Hände, denn an der Schublade war kein Griff. Sie zog ihren Ärmel über die rechte Hand und öffnete die Schublade,
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