Das gefrorene Licht. Island-Krimi
ignorierte seine Frage vollkommen. »Nein, irgendwas ist mit ihm. Er hat total abweisend reagiert, als ich ihn nach dem jungen Mann im Rollstuhl gefragt habe.«
Matthias schaute sie pikiert an. »Du hast ihn danach gefragt? Wie bist du denn auf diese Idee gekommen?«
»Einfach so«, antwortete Dóra. »Ich bin einfach neugierig und habe überhaupt nicht mit solch einer Reaktion gerechnet. Jetzt ist mir zumindest klar, dass ich unbedingt rauskriegen muss, was da passiert ist.«
»Ich finde das wirklich taktlos«, sagte Matthias verstimmt. »Sich nach dem Schicksal eines völlig unbekannten Mannes zu erkundigen. Der auch noch behindert ist.«
»Na und? Darf man etwa nicht nach Behinderten fragen?«, meinte Dóra. »Du hast einfach Hunger, und deshalb bist du schlecht gelaunt. Lass uns was essen gehen.« Sie erhob sich vom Sofa.
Matthias’ Gesicht hellte sich auf. »Wie wär’s, wenn wir irgendwo anders essen?«, fragte er. »Gibt’s hier in der Nähe nicht noch mehr Restaurants?«
»Doch«, antwortete Dóra. »Wir könnten nach Hellnar fahren. Wer weiß, vielleicht treffen wir da jemanden, der sich mit Geistern auskennt oder etwas über diesen Bergur von Tunga weiß.«
Matthias seufzte. »Ach, hoffentlich nicht.«
Eiríkur nahm all seine Kraft zusammen und öffnete die Augen. Der Aura-Experte hatte so schlimme Kopfschmerzen wie schon seit Jahren nicht mehr. Er versuchte, sich zu bewegen, gab es aber sofort wieder auf, denn ihm wurde speiübel. Er musste die Augen wieder fest schließen, bevor er sich orientieren konnte. Als das Schlimmste vorbei war, versuchte er, zu begreifen, was eigentlich mit ihm geschehen war. Was war passiert? Hatte er getrunken? Er konnte sich an nichts erinnern und hatte keinen Alkoholgeschmack auf der Zunge. Plötzlich fielen ihm die Tarotkarten in seinem Angestelltenhäuschen wieder ein; er hatte sich selbst die Karten gelegt. Oder für jemand anders? Er erinnerte sich dunkel daran, dass er sich mit Jónas gestritten hatte, wusste aber nicht mehr worüber. Über die Arbeit oder über die Tarotkarten? Seine Gedanken wirbelten durcheinander, und er verspürte einen heftigen Schmerz. Er ging von seinen Beinen aus und war so stark, dass Eiríkur den Ursprung zunächst nicht lokalisieren konnte, nicht wusste, ob einer oder beide Knöchel gebrochen waren. Dann ließ der Schmerz ein wenig nach, woraufhin er ein fürchterliches Brennen unter den Fußsohlen verspürte. Was war eigentlich geschehen? War er im Hotel?
Eiríkur hatte das Gefühl, auf etwas Lauwarmem, aber Hartem zu liegen. Er tastete mit der flachen Hand umher und meinte Gras oder Heu zu fühlen. Der ekelhafte Geruch, der ihm in die Nase stieg, ließ jedoch darauf schließen, dass er sich nicht in der freien Natur befand. Außerdem hörte er ein merkwürdiges Geräusch, das er nicht einordnen konnte. War es ein Atmen? War jemand bei ihm? Vorsichtig öffnete Eiríkur ein Auge und sah, dass er sich in einem Gebäude befand. Es war fast dunkel, nur ein schwacher Lichtschein drang irgendwo hinter ihm hinein. Keine menschliche Macht hätte ihn dazu bringen können, sich umzudrehen und nachzuschauen, woher das Licht kam. Im Augenblick fiel es ihm schon schwer genug, überhaupt zu atmen. Er bemühte sich, es ganz langsam zu tun – ein, aus, ein, aus – und kämpfte gegen die immer stärker werdende Übelkeit an.
Geld. Geld und Tod. Sein Herz hämmerte wild in seiner Brust. Plötzlich erinnerte er sich an etwas. Er drehte so langsam wie möglich den Kopf. Er befand sich in einem Pferdestall. Weit und breit kein Geld, jedoch beschlich ihn die Vermutung, dass der Tod ganz in der Nähe war. Er verlor die Kontrolle über seinen Atemrhythmus und über die Übelkeit, musste sich heftig übergeben und konnte eine Weile nichts anderes mehr wahrnehmen. Aber es ging schnell vorüber, und wieder packte ihn Entsetzen. Ein schrilles Wiehern ertönte, gefolgt von Hufstampfen. Woher kamen diese Geräusche? Auf welcher Seite von ihm befand sich das Tier? Eiríkur zwang sich dazu, sich halb aufzurichten und die Augen zu öffnen. Dabei musste er sich erneut übergeben, aber der erste Schwall war so heftig gewesen, dass kaum noch etwas kam. Als das Schlimmste vorbei war, schaffte er es, sich auf die Ellbogen zu stützen und sich vorsichtig umzuschauen. Sein Blick fiel auf seine Brust, und trotz seines absonderlichen Zustands wurde ihm sofort klar, woher der unerträgliche Gestank kam. Verzweifelt versuchte er, den Schrei zu unterdrücken, der
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