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Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Das gefrorene Licht. Island-Krimi

Titel: Das gefrorene Licht. Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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sich in seinem Hals bildete; am Ende gelang es ihm. Er zwang sich, seinen Blick von dem blutigen Fell und dem weit geöffneten Maul an dem baumelnden Kopf abzuwenden und sich auf die Dinge über ihm zu konzentrieren. Der Drang zu überleben war stärker als der, sich dieses Scheusals zu entledigen, obwohl er es nicht erwarten konnte, das grobe Band, mit dem es an ihm festgebunden war, zu lösen. Langsam blickte er nach oben.
    Beine. Vier schlanke Beine und kräftige Hufe. Was hatte man ihm gesagt? Dass das niemand begreifen würde, dass alle sagen würden, es sei ein Unfall gewesen. Ein sehr tragischer tödlicher Unfall, den er selbst verursacht hatte. Das durfte nicht geschehen. Die Leute mussten erfahren, dass es Mord war, und nicht seine eigene Dummheit. Eiríkur hatte in der letzten Zeit schon genug Spott wegen seiner Arbeit als Hellseher über sich ergehen lassen müssen. Er musste dafür sorgen, dass der Hohn ihn nicht bis ins Grab hinein verfolgte. Auf einmal war es ihm wichtiger, diese Botschaft zu übermitteln, als am Leben zu bleiben. Es war unsinnig, Strohhalme aneinanderzulegen; sie würden längst zertrampelt sein, wenn endlich jemand käme. Nein, er musste etwas an eine Stelle ritzen, die vor dem Vieh sicher war. Vorsichtig wanderten seine Augen umher. Die Wand war nicht weit entfernt. Mit einer Entschlossenheit, die er nie für möglich gehalten hätte, gelang es ihm, die Schmerzen auszuschalten und auf die Wand zuzukriechen. Dabei betete er zu Gott, dass es ihm gelänge, mit seinem Ring ein paar Buchstaben in die Wand zu ritzen, bevor es zu spät wäre. Der Atem des Biestes ging schneller, und Eiríkur erstarrte. Sobald er den Mann auf dem Boden bemerken würde, musste der Hengst vor Angst die Kontrolle verlieren und ihn zu Tode trampeln. Als der Atem wieder ruhiger ging, wartete Eiríkur sicherheitshalber noch einen Moment und schleifte sich dann ganz langsam zur Wand. Er konnte unmöglich aufstehen; der Schmerz unter seinen Fußsohlen fühlte sich an, als hätte er sich verbrüht.
    Eiríkur spürte, wie er mit der Schulter gegen die Wand stieß, und streckte seine Hand mit dem Ring nach oben. Er begann, in die Boxenwand zu ritzen. Der Hengst schnaubte wegen des kratzenden Geräuschs, das der schabende Ring auf der Wand verursachte. Entsetzt sah Eiríkur, dass das Tier plötzlich seine braunen Augen auf ihn richtete und wieherte. Hastig ritzte er weiter, traute sich jedoch nicht, die Augen von dem Kopf mit der weißen Blesse abzuwenden. Das Pferd scharrte mit den Vorderhufen, drehte Eiríkur dann die Hinterhand zu und keilte aus. Das Einzige, was dem Mann durch den Kopf ging, war, ob das Gekritzel ausreichen würde, um den Mörder zu entlarven. Wenn er nur etwas mehr Zeit gehabt hätte. Niemand würde das verstehen. Der Hengst gab ein grauenhaftes Geräusch von sich, und Eiríkur hob instinktiv seinen Arm vor den Kopf.
    Aber das war im Grunde genauso zwecklos wie zu glauben, das Biest könne die Schrift an der Wand entziffern:
    RER

18 . KAPITEL
    »Der Junghengst gehört meiner Frau. Ich interessiere mich nicht besonders für Pferde«, sagte Bergur und starrte auf den Boden.
    þórólfur beugte sich über den alten Küchentisch, wobei er darauf achtete, mit dem Ärmel seiner Uniform nicht in den Kaffeefleck zu geraten, der sich gebildet hatte, als ihm Bergur mit zitternder Hand eingeschenkt hatte. »Und was hast du dann da drinnen gemacht, wenn du dich, wie du selbst sagst, nicht für Pferde interessierst?«
    »Die Pferde werden abends gefüttert. Deswegen kümmere ich mich«, antwortete Bergur ohne aufzuschauen. »Dafür muss man sich nicht für sie interessieren.«
    þórólfur hatte im Laufe seiner Jahre bei der Polizei einiges gelernt, beispielsweise sich bei Verhören auf seine Intuition zu verlassen. Er hatte das starke Gefühl, dass der in sich zusammengesunkene Mann ihm gegenüber etwas zu verbergen hatte. »Nein, muss man natürlich nicht«, sagte þórólfur und fragte gezielt weiter: »Wie kommt es, dass ihr immer noch Pferde im Stall habt? Soweit ich weiß, ist das im Juni nicht mehr üblich.«
    »Wir haben einen Pferdeverleih«, antwortete Bergur. »Meine Frau organisiert das, und ich helfe bei Bedarf mit. Füttern und so.« Bergur knabberte an der Nagelhaut seiner linken Hand herum. »Der Hengst sollte eigentlich schon auf der Deckweide sein, wir sind nur etwas spät dran.«
    þórólfur machte sich eine Notiz und schaute dann auf. »Wann hast du bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung

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