Das Gegenkreuz
Gestalt sie gefunden hatten.
Ja, es war ein Mensch, aber als Bill das Gesicht sah, flüsterte er nur: »Mein Gott...«
Zugleich Mensch und Monster!
So und nicht anders musste man die Gestalt ansehen. Am Körper trug sie einen langen Fetzen, und aus dem Ausschnitt am Hals schaute ein Kopf hervor, bei dem alles gleich doppelt vorhanden war.
Zwei Münder, zwei Nasen, vier Augen und auch vier Ohren!
Die Ohren lagen übereinander, ebenso wie die Münder und auch die Augen. Nur die Nasen wuchsen nebeneinander.
Dieser Mensch war zu seinem eigenen Zerrbild geworden.
Der Reporter ging unwillkürlich einen Schritt zurück. Er hatte das Gefühl, nicht mehr derselbe zu sein, und in seinem Kopf rasten die Gedanken wie in Bewegung gesetzte Spiralen.
Er merkte kaum, dass er wieder neben Suko stand, der sich schneller gefangen hatte und eine Frage stellte.
»Wer bist du?«
Der Mensch bewegte den Mund. Nein, er bewegte seine beiden Münder, als er die Antwort gab.
»Ich gehöre dem Orden an. Ich bin einer von ihnen, und ich lebe.«
»Ja«, sagte Bill, der sich über die Antwort wunderte, denn sie war von der Akustik her völlig anders gewesen. Da hatten sich beim Sprechen die Worte überlagert, als hätte der eine Mund schneller als der andere gesprochen.
»Dann zählst du zu den toten Engeln, nicht wahr?«
»Nein, ich bin ein Mensch. Ich war ein Mensch, der sein altes Leben aufgegeben hat, um die Engel zu suchen. Ich habe sie gefunden, und sie haben mich verändert. Sie sind tot, aber sie leben trotzdem.«
»Wo denn?«
»Hier, denn wir befinden uns in ihrer Welt.«
»Nein, nein, das stimmt nicht«, sagte er Reporter. »Wir sind zu einer Insel gefahren und haben...«
»Hör auf«, sagte Suko. »Denk daran, was passiert ist. Wir sahen das Kloster erst später, als sich die Dimensionen überlappten.«
»Scheiße – ja. Und dann wird es uns so ergehen wie ihm. Wir sollten uns vor den toten Engeln in Acht nehmen.« Bill senkte seine Stimme. »Die Steine sind verschwunden, aber aus ihnen sind die Engel geworden.«
»Die nicht mehr tot sind, sondern leben!«
»Sogar doppelt.« Bill konnte es noch immer nicht fassen und fragte: »Was hat man mit dir gemacht?«
»Ich bin der doppelte Mensch. Man hat mich dazu gemacht. Ich wandere zwischen den Welten, und ich habe einen Blick in die Hölle werfen können, in der sich auch die toten Engel befinden. Aber sie sind nicht wirklich tot. Man hat sie nur verstoßen und verdammt. Mehr kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, warum ihr gekommen seid, aber ich sage euch, dass eine Flucht zwecklos ist. Sie warten immer darauf, dass sich Menschen hierher verlaufen. Fliehen kann keiner.«
»Hat es denn mal einer versucht?«
»Ja, und er ist auch entkommen.«
»Wer denn?«
»Er hieß Orry Voss!«
Bill und Suko schauten sich an. Plötzlich passten die Dinge wieder zusammen. Zwar hatte sich der Kreis noch nicht völlig geschlossen, aber viel fehlte nicht mehr.
»Dann wirst du hier sterben?«, fragte Bill.
»Nein, ich sterbe so leicht nicht. Ich gehöre zu den anderen. Ich bin einer der Wärter, der dazu abgestellt worden ist, auf andere Menschen zu warten, die die Insel betreten, und wenn das geschehen ist, haben sie keine Chance mehr.«
»Sollen wir ihm glauben?«, fragte Bill. »Bisher geht es uns recht gut. Abgesehen von seinem Anblick.«
»Wir dürfen die toten Engel nicht unterschätzen, Bill. Ich denke, dass wir den Rückzug antreten sollten.«
»Und dann?«
»Es gibt noch andere Türme, Bill.«
Der Reporter musste nicht lange nachdenken und stimmte zu. »Aber was machen wir mit dem Doppelgesicht?«, fragte er. »Wobei ich doch gespannt bin, wie die anderen aussehen.«
»Er kann hier in diesem Turm bleiben«, erklärte Suko.
»Einverstanden.«
Das Doppelgesicht musste sie gehört haben, aber die Gestalt kümmerte sich nicht um sie. Seine schnelle Kopfdrehung machte Suko und Bill auf etwas aufmerksam.
»Was hat er?«
Der Inspektor hob die Schultern.
Für ihn gab der Veränderte die Antwort. Zuerst stand er auf, dann flüsterte er: »Er kommt.«
»Wer?«
»Der Engel. Ich spüre ihn.« Die Gestalt fing plötzlich an zu vibrieren und schüttelte sich, als hätte jemand kaltes Wasser über ihren seltsamen Körper gegossen.
Suko erfasste die Situation sofort. Er trat näher an die Gestalt heran und leuchtete sie wieder ab.
»Wo kommt er?«
»Ich spüre ihn nur. Der Engel ist mein Beschützer. Und ich bin sein Sklave.« Urplötzlich änderte sich seine Haltung. Alles
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