Das Gegenteil von Schokolade - Roman
durch die Neugierde blitzt. Offenbar ist mein Manöver für sie leicht durchschaubar. Aber da sie von besagtem Platz an der Treppe den Standort hier wird im Auge behalten können, zögert sie nicht lange und schiebt gemeinsam mit Angela davon.
Fünfzehn Minuten.
Vielleicht hat sie es nicht ernst gemeint.
Sechzehn Minuten.
Ich mache mich lächerlich. Wenn sie irgendwo steht und mich beobachtet, mache ich mich total lächerlich.
Siebzehn Minuten.
Andererseits brauche ich mir nichts vorzuwerfen. Ich verhalte mich schließlich korrekt. Ich halte vereinbarte Treffpunkte und Uhrzeiten ein. Und ich bin nicht geneigt, irgendwelche dummen Spielchen zu spielen.
Achtzehn Minuten.
Bestimmt ist es eins von diesen dummen Spielchen.
Neunzehn Minuten.
Wenn ich das wirklich glauben würde, stünde ich längst nicht mehr hier.
Zwanzig Minuten.
Vor allem nicht, seit mir aufgefallen ist, dass die Rothaarige da drüben ununterbrochen hierher starrt. Sie glotzt mich an. Dass der das nicht peinlich ist.
Einundzwanzig …
Aber vielleicht kann sie sich so was leisten. Sie sieht wirklich super aus. Hat so lange dunkelrote Locken, die ihr bis zum Hintern runterfallen. Eine richtige Mähne. Bestimmt keine Dauerwelle. Und die Nase über den vollen, schön geschwungenen Lippen, beinahe niedlich. Wären da nicht diese stechenden Augen. Die mich fixieren.
»Was für eine schöne Überraschung.« Eine Stimme an meinem Ohr, so nah, dass ich sie fühlen kann.
Frederike.
Ich lache nervös, und mein Herz macht ein paar Galoppsprünge.
Zugegeben, ich habe eine kleine Schwäche für Frederike. Natürlich nicht so, wie es jetzt klingt. Immerhin habe ich sie kennen gelernt, als ich noch mit Lothar zusammen war. Und außerdem hat sie seit Jahren eine feste Freundin, Karolin. So meine ich das also gar nicht.
Ich würde auch eher sagen, meine Affinität ist eher bewundernder Natur, denn Frederike schreibt Bücher, und das hat mich schon immer beeindruckt.
Außerdem besitzt sie die faszinierendsten Augen, die ich je gesehen habe, eines braun, das andere blau. Und sie sieht mit ihrer wüsten Frisur immer ein bisschen aus wie ein zerrupfter Spatz.
Als ich sie kennen lernte, hat sie mein Weltbild ein bisschen mehr ins rechte Lot gerückt. Denn an ihrem Beispiel habe ich erfahren, dass es Menschen geben kann, die von Träumen leben. Das ist eine Erfahrung, die ich vorher noch nie gemacht hatte. Und vielleicht, das gebe ich zu, hat es ein bisschen dazu beigetragen, dass auch ich meine Träume wieder ernster genommen habe.
Paradoxerweise gewinnen Menschen, die ihre Träume ernst nehmen, einen viel klareren Blick auf die Realität.
Jetzt tausche ich mit Frederike ein paar heitere Floskeln und sage mir währenddessen still, dass Emma einen dicken Punkt Abzug bekommt, wenn sie nach zwanzig Minuten Verspätung ausgerechnet jetzt auftauchen sollte.
Doch statt Emma schlendert die rothaarige Frau mit den langen Locken zu uns heran.
Sie gibt Frederike, die diese Frau ganz offensichtlich gut kennt, einen Kuss auf die Wange und hält die ihre hin.
Ich bekomme ein paar Satzfetzen mit, die zwischen den beiden hin und her wehen: »… Karolin nicht mit?« – »Im Café mit Nina. Hat Rauchen wieder angefangen seit …« – »… Ratgeber empfehlen …« – »… alles zu spät, weil auf der Arbeitsstelle …«
Als die beiden genug Neuigkeiten ausgetauscht haben, wendet sich die Frau mit den wilden Locken geradezu provozierend lächelnd an mich.
»Wie heißt du?«, will sie zielgerichtet von mir wissen.
»Frauke«, stammele ich und könnte mich für meine aufflackernde Unsicherheit selbst schlagen.
»Irgendein Zweitname?«, hakt sie sofort nach.
»Nein«, antworte ich ebenso zackig.
»Hm«, macht sie nur und sieht aus, als wolle sie ›schade‹ hinzusetzen. Doch in dieser Sekunde knufft Frederike sie in die Seite und wirft ihr einen scharfen Blick zu. Die so Zurechtgewiesene zuckt die Achseln und verschwindet, nachdem sie eine vollendete Drehung um hundertachtzig Grad hingelegt hat.
»Wir haben ja alle so unsere Neurosen«, erklärt Frederike mir mit einem Lächeln. »Paula hat sich da so eine dumme Sache in den Kopf gesetzt. Seit sie mit Olga auseinander ist, sucht sie nach einer Frau, deren Name mit P anfängt. Davon gibt es aber nicht viele.«
Ich spüre, wie das Blut aus meinem Gesicht weicht.
»War das etwa diese Freundin von dir, die … ?« Von der habe ich gehört! Michelin hat mehr als einmal von ihr erzählt. Immer mit diesem seltsam
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