Das Gegenteil von Schokolade - Roman
habe.
Die Frau an der Gemüsepfanne.
Ich muss sagen, ich bin momentan eigentlich ganz froh, dass es keine Männer auf uns regnet. Und dabei bin ich doch wohl diejenige, die hier die zumindest tendenziell Heterosexuelle ist.
Jetzt mal ehrlich: Das versteh eine noch!
Das Lied endet, und Michelin kommt von der Tanzfläche gewippt, als hätte ihr der Ausflug dorthin die Batterie neu aufgeladen.
»Die alten Songs sind doch irgendwie noch die besten«, meint sie grinsend und greift sich ihr Glas vom Stehtisch, um es in einem Zug zu leeren.
Doch mit den alten Songs ist jetzt Schluss. Die DJ hat sich anscheinend entschieden, ein paar Hits aus den Charts zu spielen, auf die alle mächtig abfahren. Ich auch. Ich mag diese neuesten Ohrwürmer.
Mein Fuß tippt den Takt auf den Boden. Allein tanz ich aber nur, wenn ich vor Langeweile gleich sterbe oder wenn ich betrunken bin. Ich trinke aber heute keinen Alkohol, weil ich mit dem Wagen da bin. Und langweilig ist mir ganz sicher auch nicht.
»Michelin, komm doch mit!«, bettele ich. Aber sie fächelt sich immer noch Luft zu und macht eine Geste, die bedeuten soll: Immer langsam mit den jungen Pferden.
Da sehe ich plötzlich eine blaue Baseballmütze durch die Menge der Köpfe blitzen.
Ich weiß gar nicht genau, was genau an dieser Kappe es ist, das mich anspricht, aber geradezu automatisch erheben sich meine Füße auf die Zehenspitzen, und ich versuche einen genaueren Blick auf die Frau dort zu erhaschen.
Sie trägt die Kappe über den blonden Haaren, die an ein paar Stellen hervorwitzeln, so tief ins Gesicht gezogen, dass sie auf den ersten Blick gar nicht zu erkennen ist. Nur ihre Bewegungen sind mir gleich bekannt vorgekommen. Auch wenn sie so ganz anders aussieht. So ganz anders als in dem weißen Kittel oder dem Alte-Klamotten-für-den-Hundeplatz-Outfit. Mit der Jeans auf den Hüften und dem knallengen blauen T-Shirt, auf dem vorn draufsteht: Freigang vom Kloster!
Ich muss grinsen. Jetzt kapiere ich ihre Worte zur Verabschiedung auch: »Vielleicht sehen wir uns ja schon ganz bald wieder?!«, hat sie nämlich gesagt und gezwinkert. Natürlich ist sie davon ausgegangen, dass ich als Lesbe möglicherweise heute Abend zum Schwofen in den Kulturbahnhof komme.
Ich als Lesbe.
Na, Mahlzeit.
Sie hier zu treffen, damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Umso überraschender ist für mich selbst das Gefühl der Freude, das sich jetzt in mir breit macht wie ein wohlig schnurrendes Kätzchen, das gleich vor lauter Vergnügen die Krallen ausfahren will.
»Guck mal!« Ich beuge mich zu Michelin hin. »Die da vorn, in den blauen Klamotten, mit der Baseballkappe, das ist die Tierarzthelferin, von der ich erzählt habe.«
Michelin sieht kein bisschen so aus, als würde sie irgendeine bestimmte Frau auf der Tanzfläche mustern. Ihre Blicke irren scheinbar ziellos umher, vielleicht auf der Suche nach einer verloren gegangenen Freundin. Meine Güte, sie ist immer noch verdammt gut im Training. Mehr als zehn Jahre Lesbenszene machen sich wirklich bemerkbar.
»Nett, wie sie tanzt«, meint sie und grinst mich an. Dieses leicht süffisante Grinsen, das sie in letzter Zeit so draufhat, sobald ich von einer Frau auch nur spreche.
Ich verzeihe es ihr, eher aus Eile denn aus Großmut, denn es interessiert mich, was genau sie an Antonies Tanzstil interessant finden mag.
Als ich jetzt genauer hinsehe, erkenne ich es auch und finde es von einer Sekunde auf die andere ganz sonderbar, dass mir das nicht gleich aufgefallen ist: Antonie tanzt anders als die Frauen rund um sie herum. Die Musik scheint geradewegs in ihre Schultern zu fließen, von wo aus sie in die Arme gleitet und die Hände zu Fäusten schließt. Die preschen im Takt des Basses nach vorn. Von den Schultern weggeschleudert, boxen sie ein Schattenbild wie in einem zum Rhythmus entworfenen Showkampf.
Eine Weile sehe ich bei dieser Selbstdarstellung fasziniert zu. Was Frauen sich alles einfallen lassen, um andere auf sich aufmerksam zu machen.
Aber ich muss sagen, es hat sicherlich Erfolg. Bestimmt sehen viele zu ihr hin, sehen ihr zu. Ob sich aber auch nur eine von ihnen entsprechende Gedanken über Voyeurismus macht – so wie ich es jetzt tue?
Ihr Blick auf dem Trainingsplatz heute, quer herüber zu mir, weich, mächtig reinhauend. Den muss ich geträumt haben. Denn diese Frau da vorn, die würde mir doch sicher nicht solche Blicke zuwerfen.
Mein Gott, ich lese wahrscheinlich einfach zu viele Krimis. Könnte gut sein,
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