Das Gegenteil von Schokolade - Roman
nicht mehr vorhanden ist, wenn eine sich so was einfallen lässt«, versuche ich sie noch mal zu überzeugen. Doch Michelin bleibt davon ungerührt.
»Sag, was du willst. Ich finde es sogar irgendwie romantisch, dass sie sich so viele Schachzüge ausdenkt, um dir näher zu kommen.«
Hätte ich mir denken können, dass sie es so sieht.
»So, jetzt muss ich aber wieder an die Arbeit. Im Gegensatz zu dir kann ich mir gerade keinen Einbruch in der Kontinuität am Schreibtisch leisten. Dann ruh dich jetzt mal aus von der anstrengenden Nacht, schlaf ein bisschen und denk noch mal drüber nach, ob du sie nicht doch wenigstens anhören willst.«
»Okay, mach ich«, verspreche ich. Darüber nachdenken kann ich ja ruhig noch mal. Das bedeutet ja noch gar nichts. Außer dass ich mir meiner Entscheidung diesbezüglich wirklich hundertprozentig sicher bin, wenn sie anruft.
Wenn sie anruft und fragt, ob wir uns zu einem klärenden Gespräch treffen können, kann ich dann wenigstens mit ruhigem Gewissen behaupten, ausführlichst darüber nachgedacht zu haben, dass ich das nicht will.
Wenn sie also anruft und fragt, dann werde ich sagen: ›Tut mir Leid, Antonie … oder soll ich lieber Emma sagen? Was ist dir lieber? … Jedenfalls habe ich nach langem Überlegen entschieden, dass es besser ist, wenn wir es hierbei belassen.‹ Loulou stört es nicht, wenn ich den Satz ein paarmal laut übe. Er soll bestimmt klingen, nicht eingeschnappt oder sauer, sondern überlegen und selbstsicher.
Wenn sie also anruft, bin ich gewappnet.
Fast eine geschlagene Stunde sitze ich auf dem Sofa und warte.
Aber wahrscheinlich hat sie meine Mail noch gar nicht bekommen. Sie wird arbeiten müssen. Und zwar nicht an der Uni, vor literaturinteressierten StudentInnen, wie Emma mir immer erzählt hat, sondern in der Tierarztpraxis unten auf der Ruhrstraße.
Also werde ich wohl erst heute Nachmittag oder am Abend mit ihrem Anruf rechnen können.
Vielleicht sollte ich dann doch lieber noch etwas arbeiten. Michelins Spruch, dass ich es mir erlauben kann, mal einen Tag Pause einzulegen, entspricht nämlich nicht unbedingt den Tatsachen.
Also schleppe ich mich an den Computer und mache mich ausgesprochen lustlos an die Arbeit.
Logisch, dass Michelin so denkt. Sie ist eine echte Fatalistin und schicksalsgläubig bis zum Abwinken. Für sie würde sich natürlich jetzt die Frage stellen, wieso ich Emma-Antonie überhaupt begegnet bin, wenn das Ganze jetzt auf diese unspektakuläre Weise gleich wieder versumpfen würde.
Für Michelin steht fest, dass alle Menschen, die einem begegnen, das nicht umsonst tun. Alles hat einen schicksalsbestimmten Sinn in unserem Leben, behauptet meine liebe Freundin. Und ich muss sagen, dass es mir heute bestimmt besser ginge, wenn ich auch dieser Religion anhängen würde. Denn dann wäre zumindest gewiss, dass sich mir irgendwann der tiefere Sinn der letzten Wochen offenbaren würde.
Das Telefon klingelt, und ich bin mit einem einzigen Hechtsprung am Hörer.
»Ja?«
»Hi, Süße, ich bins.« Lothar. »Ich wollte nur mal fragen, wie es dir geht. Als du heut Nacht hier aufgebrochen bist, hast du doch einen etwas aufgelösten Eindruck gemacht.«
Ich stöhne auf und erzähle ihm von meinen nächtlichen Überlegungen und meiner Entscheidung am Morgen.
Mein Ex-Freund fabriziert sein typisches Backen-Schmatz-Geräusch und stimmt mir zu: »Wahrscheinlich ist es nicht das Allerbeste, aber ich denke, ich würde es auch so machen wie du.«
Ich bin irritiert. »Wie? Nicht das Allerbeste? Wie meinst du das?«
»Na, den Kopf in den Sand zu stecken, ist doch wohl nie die allerbeste Methode gewesen, um vorwärts zu kommen, oder?«
Dazu kann ich nur schweigen.
»Ich muss jetzt mal wieder auflegen«, brummt Lothar. »Denkst du dran, dass übermorgen die Premiere von Angelas Stück stattfindet?«
»Denkst du, dass Michelin zulassen würde, dass ich das vergesse?!«, erwidere ich, ein wenig erschrocken, denn ich hatte wirklich nicht mehr daran gedacht.
Lothar murmelt noch etwas Liebes, und wir legen auf.
Meine Freunde sind auf alle Fälle da, denke ich. Egal, was jetzt passiert, das ist ganz sicher: Allein bin ich nicht!
Dieser Gedanke hebt meine Stimmung wieder ein bisschen, und ich schaffe es tatsächlich, mich auf die Recherche zu konzentrieren, die momentan bei mir anliegt.
Es soll ja Leute geben, die nach einer Enttäuschung in Liebesdingen ganz in ihrem Job aufgehen und richtig Karriere machen … Ich denke, das ist
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