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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliza Graham
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und zu dir kommen, wenn das okay ist? Wäre es zwischen jetzt und Trimesterende zu hektisch?« Offensichtlich erinnerte er sich an die zu dieser Zeit im Jahr übliche Hektik im Schulbetrieb.
    »Bis nächste Woche ist es nicht allzu schlimm.«
    »Was hältst du von morgen Abend? Um welche Zeit bist du fertig?«
    »Ich kann mir ab fünf Uhr freinehmen.«
    »Du brauchst mich nicht vom Bahnhof abzuholen, ich nehme mir ein Taxi. Mir wurde eine Entschädigung ausgezahlt, und ich hatte in den letzten Monaten nicht viel Gelegenheit, etwas davon auszugeben. Ich führe dich auch zum Essen aus.«
    »Ich würde gern kochen.« Er sagte nichts. »Ich habe geübt. Bevor Mum starb, gab sie mir ein paar Tipps.«
    »Dann bring ich den Wein mit.« Er räusperte sich. »Gib Samson einen Klaps von mir.«

37
    Emily
    E in gelegentliches Lob oder ein Tätscheln des Kopfes, als wäre sie ein Schoßhund. Na gut, sollten sie sie ruhig bevormunden. Bald würde das Stück aufgeführt werden. Das Ende des Trimesters nahte. Alle Mitwirkenden liefen bereits mit ihren Texten in der Hand umher und sprachen sie in einem letzten Anlauf, sie auswendig zu lernen, murmelnd vor sich hin. In den Mittagspausen fanden zusätzliche Proben statt. Emily arbeitete noch immer an den Kostümen, nahm es vermutlich übergenau, sorgte für den letzten Schliff und vergewisserte sich, dass Säume gerade und Knöpfe gut angenäht waren. Aber das waren Dinge, die den Unterschied zwischen einem Profi und einem Amateur ausmachten. Und Emily war Profi. Egal was sie sonst sein mochte, diese Aufgabe nahm sie ernst.
    »Sie sind wirklich begabt«, hatte Jenny ihr versichert, als sie zusah, wie sie an einem der Dienstmädchenkleider einen Abnäher machte. Dabei klang sie ein wenig überrascht. Emily musste an die Jahre denken, in denen sie gelernt hatte, wie man Entwürfe machte und nähte. Sie hatte ihre Puppenkleider selbst genäht und als Teenager fast alle ihre eigenen Kleider. Dies war in dem Kaff, in dem sie wohnten, die einzige Möglichkeit, an modische Sachen zu kommen.
    »Es ist nur schade, dass diese Kostüme so schlicht sind.« Eintönig und trist.
    »Das war Neuengland im siebzehnten Jahrhundert«, erwiderte Jenny. »Nur Puritanismus und Prüderie.«
    Warum musste man auch ein derart düsteres Stück wie Hexenjagd auswählen? Hier ging es nur um Schuld, Schande und Verantwortung. Zu diesen Themen hätte Emily auch das ein oder andere beisteuern können. Vielleicht schadete es ja nicht, zu zeigen, was passierte, wenn in einer kleinen Gemeinschaft Gerüchte die Runde machten und die Unschuldigen zusammen mit den Schuldigen leiden mussten, überlegte sie. Dieser Aspekt der Hexenjagd war eigentlich ganz interessant. Und dennoch hätte es mehr Spaß gemacht, etwas Opulentes zu erschaffen, etwa für ein Stück von Shakespeare.
    Emily war die geborene Modedesignerin. In ihren Träumen studierte sie in London auf einer Schule für Mode oder Textildesign. Und wurde Kostümbildnerin für die Royal Shakespeare Company. Oder arbeitete für einen Modedesigner in Paris oder New York. Natürlich hätte sie das Kleid für die Reborn-Puppe lieber selbst entworfen. Aber das Leinenkleid und das Mützchen hatte das echte Kind zu seiner Taufe getragen, das Kind, das die Vorlage für die Puppe gewesen war.
    Es war fast zu leicht gewesen, damals im September das Kleid und das Mützchen aus Traceys Korb zu nehmen. Damit war ihr der Gang zum Theaterfundus erspart geblieben. Das elfenbeinfarbene Material hatte an der Puppe perfekt ausgesehen. Immer wieder hatte sie die kalte Haut anfassen müssen, um sich zu vergewissern, dass es nicht das echte Kind war.
    »Soll ich Olivia zur Anprobe reinschicken?«, fragte Jenny.
    »Ja bitte.« Sie blickte nicht auf, während sie den Faden abschnitt, und hoffte, dass ihre brennenden Wangen nicht zu verräterisch waren. Olivia. Der Grund, weshalb diese ganze Angelegenheit gleichzeitig schwerer und vergnüglicher wurde, als sie anfangs gedacht hatte.
    Als das graue Kleid über Olivias Schultern gestreift und sie dann noch mit der weißen Schürze und der Haube ausstaffiert worden war, vermochte Emily nicht, das kleine Lächeln zu unterdrücken, das sich auf ihre Lippen stahl. Olivia hätte direkt dem siebzehnten Jahrhundert entsprungen sein können. Um der fürchterlichen dunkelgrauen Farbe des Kleides etwas entgegenzuhalten, hatte Emily sich Gedanken über seinen Schnitt gemacht, der jetzt Olivias schlanke Taille und die zarten Schlüsselbeine betonte und

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